Mittwoch, 26. Mai 2021

 

10 Jahre Gemeindefusion Kanton Glarus

 

Eigentlich warte ich immer noch auf eine grossangelegte Selbstanalyse des Kan-tons Glarus, die sich nach 10 Jahren Gemeindefusion in einer Standortbestim-mung den Status Quo unter die Lupe nähme. Schlicht gesagt nach den Fragen:

 

Was ist besser geworden?

Was ist schlechter geworden?

Worin hat sich die Lebensqualität verbessert oder verschlechtert?

Was soll weiter gefördert oder weiterentwickelt werden?

Was soll korrigiert werden?

 

Ähnliche Selbstreflexion erwartete ich auch von den Landeskirchen und selbst-verständlich auch von unseren gesellschaftlichen Lebenszentren Vereine.

Erfreuliche Ansätze einer Rückschau gibt es in allen drei Gemeinden Glarus Süd, Glarus und Glarus Nord.

 

Nun bin ich auf meine Glosse gestossen, die bereits im Januar 2004, also vor 17 Jahren, noch vor der  Glarnerischen Gemeindefusion, die in der ganzen Schweiz mit Verblüffung als Sensation aufgenommen wurde. Ich lade Sie herzlich ein, die-se Fiktion, Vision und Utopie genüsslich und kritisch zu vernehmen:

 

 

Falls das Glarnerland ein einziges Dorf würde...

oder

Nach den Einheitsgemeinden der Einheitskanton ?

 

Ein kleiner Autocar von Gemeindepräsidenten fuhr im Anschluss an die Lands-gemeinde vom 1. Mai 2012 bei nidsigähntem Mond aus dem bisherigen Hauptort nach Weesen. Dort sollte aus Protest gegen die angenommene Aufhebung der Gemeindekörperschaften ein Leidmahl abgehalten werden. Die Schulpräsidenten taten ein Gleiches in Amden, die Fürsorgepräsidenten in Reichenburg. Sogar der schon acht Jahre zuvor gemachte Vorschlag der damaligen Innenministerin und  Gesamtregierung, die Gemeinden auf sieben zu reduzieren, unterlag den radi-kaleren Reformen der nachstrebenden Jungpolitiker. Diese forderten vehement eine Zusammenfassung auf ein Regierungszentrum, einen erweiterten Landrat, die Beibehaltung der Landsgemeinde und gewisse dezentralisierte Verwaltungs-

zweige.

 

Der Landrat hatte diesen jugendlichen Ungestüm noch aufgefangen und der Landsgemeinde geraten, das Kind nicht mit dem Bad auszuschütten. Dennoch gelang es den beherzten Voten des politischen Nachwuchses die Landsge-meinde umzustimmen und zu einem Aufbruch aus alten festgefahrenen Gleisen zu bewegen. Niemand wusste aber, wie es weiter gehen soll.

 

Zwar hatte man endlich eingesehen, dass die Erschliessung der Kantonsteile hin-ter Glarus wie eine Bypassoperation aus Existenzgründen nicht mehr aufschieb-bar sei. Nach mehrmaligem Durchzählen des Portmonees war aber auch klar, kostspielige Tunnellösungen seien, sowohl was die Investitionskosten, als auch die Folgekosten anbetreffe, zu vergessen, dafür eine schlichte Talstrasse vorzu-ziehen.

 

Gleichzeitig hiess es; die Gemeindeämter seien aufzuheben, die Gebäude stün-den leer und für andere Aufgaben zur Verfügung. Da ja alles zentralisiert würde, übernehme der Kanton einen grossen Teil des nicht mehr benötigten Personals. Es gäbe noch ein paar Aussenposten als Anlaufstellen, etwa für Arbeitslose oder Ratsuchende zum Ausfüllen der Steuererklärung, als Abstimmungslokale... Aber der ganze Apparat zur Aufrechterhaltung der staatlichen Aufgaben wäre im Hauptort Glarus selber, wo an Stelle des Zaunschulhauses ein mächtiges Gebäu-de – dem UNO-Gebäude in New York ähnlich – erstellt würde. Ein gewaltiger Werkhof für den Sommer- und Winterunterhalt der Strassen, dessen Standort noch nicht ausgefochten wäre, sei in Planung. Die Maxime querbeet durch die ganze Kantonsverwaltung: Verzicht auf alle kantonale Eigenleistungen, wo pri-vate Unternehmen, im Konkurrenzsystem und wo möglich mit Mehrjahresverträ-gen, eingesetzt werden könnten. (Beispiele: Forst, Holzen, Holztransporte, Strassenunterhalt, Schneeräumung, Gebäudeunterhalt, Schulbus, administrative Aufgaben ...)

 

Das Schulwesen wäre mit Ausnahme dezentraler Kindergarten/Unterstufen auf wenige Zentren zusammengefasst. Kanti, KV und Gewerbliche Berufsschule un-ter einem Dach mit zentraler Administration aber teilautonomen Schulleiterteams.

 

Innerhalb des „Systems“ Kanton Glarus würden alle Abteilungen immer wieder laufend überprüft und müssten einem präzisen finanziellen, aber auch sach- und aufgabenbezogenen Controlling unterzogen werden.

 

Der Kanton verlöre und verdünnte reinen Service Public und drosselte seine Dienstleistungsfunktionen auf nützliche Bescheidenheit. Der Staat strebe Grund-lagen, Rahmenbedingungen und Freiräume an, die Eigeninitiative der Tüchtigen erleichterte und gesunde Konkurrenz anstachele. Die soziale Verantwortung für Benachteiligte müsse so akzentuiert sein, dass Arbeitslose, Ausgesteuerte, Sozialhilfeempfänger, Behinderte, je nach Grad, praktische Anreize und Beschäf-tigungen erhielten, die interessanter wären, als lediglich Geldleistungen. Letzter seien schlichteren Komfortstandards anzupassen.

 

Die noch im Milizsystem gewählten Landrats- oder Kommissionsmitglieder er-hielten keine Sitzungsgelder mehr. Dem Interesse und  Verantwortungsbewusst-sein der einzelnen Einwohnern wäre es anheim gestellt, sich an der Res Publica zu beteiligen. Hingegen sollten die politischen Parteien nach ausgewiesener Mit-gliederzahl finanziell unterstützt werden, nicht zuletzt im Interesse einer Nach-wuchsförderung für politische Aufgaben.

 

Nicht besser erginge es den nebenamtlichen Richtern, auch sie könnten nicht mehr mit Sitzungsgeldern rechnen, weil der ganze Staat wirklich wieder als Ge-samtauftrag an das Volk verstanden würde. Die vollamtlichen Regierungsräte und deren professioneller Mitarbeiterstab müssten nicht mehr ihre eigenen Amts-berichte weitgehend alljährlich wieder abschreiben, sondern würden von einem Profi-Gremium qualifiziert und gecheckt.

 

Die Kirchgemeinden würden völlig aus der staatlichen Gesetzesmaschinerie entlassen und wären nur noch der Bundesverfassung verpflichtet. Kirchgemein-den als politische Organisation würden abgeschafft, Kirchensteuern entfielen, die bisherigen Landeskirchen hätten wie alle anderen Religionsgemeinschaften mit ihren Mitgliedern auszumachen wie sie sich finanzieren wollten. Die Pfarrer und Geistlichen hätte keine politisch-obrigkeitlichen Fesseln zu erdulden, wären aber gezwungen, sich mit ihren Gläubigen zu arrangieren und ihren Laden selber zu organisieren.

 

Alles schön und recht – wie aber lösen wir die Besitzverhältnisse der Körper-schaften.

Schon der Landsgemeindeentscheid, gemeininterne Organisation hätten sich ab 1.1.2004 gegenseitig zu helfen, rief amtierende und ehemalige Gemeindeober-häupter auf den Plan, die sich ihre erwirtschafteten Moneten durch die Schul- oder Sozialausgaben nicht anbohren lassen wollten. Beraubt und bestohlen fühl-ten sich die Gemeinden, die bisher dank rentabler Elektrogewinnung oder Steu-ereinnahmen aus florierenden Betrieben, ihre Haushaltskasse in Ordnung hatten. An „Fusionen“ interessiert wären jene Körperschaften oder Gemeinden, die Schulden haben wie ein Hund Flöhe.

 

Vor allem aber wären solche Zusammenfassungen ein Verlust demokratischer Betätigungsfelder. Keine Gemeindeversammlungen mehr. Die vielseitige Beteili-gung am Staatsgeschehen, die bisher fast alle Familien in irgend ein Kommissi-önchen oder eine Behörde einband, wäre gestrichen. Doch der Kanton liesse sich als eine einzige Gemeinde zentralistisch straffer zu führen. Kulturell würden sich Interessengruppen formieren, die für die staatliche Unterstützung kämpften.

 

Alles Bockmist?! Wissen Sie, es wäre rationeller, wenn die Wohnungen und Einfamilienhäuser mit soviel Menschen gefüllt würden, wie sie konzipiert sind. Wir könnten doch ein paar Familien mischeln... Was!!!??  Eben... Neue effizientere, rationellere Strukturen zu schaffen, ist auf dem Papier nicht schwer. Sie zu leben zeigt, dass es viel mehr Werte gibt als reine Staatsökonomie und Kohlen.

Nur - ein Paradigmenwechsel, das heisst eine Umschichtung der Werte, müsste die Basis sein. Sonst ginge es nicht. Aber, der Gärtner häckelt von oben das Erdreich und setzt Stickel, damit die Setzlinge von untern besser wachsen und die Stangenbohnen emporranken können.

 

Und darum ist die Carfahrt der Gemeindepräsidenten nach Weesen, die der Schulpräsidenten nach Amden und der Sozialbehörden nach Reichenburg  noch nicht zu befürchten. Dass sie aber häufiger miteinander essen und jassen gehen sollten, wäre wünschenswert, weil die Wahrscheinlichkeit wirksamer Lösungen unter Leuten, die gut auskommen, relativ hoch ist. Viel lieber würde ich in grös-seren Wirtschaftsräumen denken und gleichzeitig zu meiner Heimat Sorge tragen.                                                                                 Bis bald! Ihr Pankraz.

 

Erschienen im "Fridolin" anfangs Januar 2004

 


Pfingstsonntag, 23. Mai 2021

 

Trouvaille

 

Chorgestühl im Fridolinsmünster

von

 

Karl Braun, Kulturschaffender in Bad Säckingen

 

(Vorbemerkung: Karl Braun, ehemaliger Stadtrat von Bad Säckingen, hat unge-zählte Aufsätze über Bad Säckingen verfasst und veröffentlicht. Er ist auch Autor beachtenswerter Bücher und begnadeter Fotograf. Er ist gewissermassen das "wandelnde Geschichtslexikon" von Bad Säckingen. Er referierte vor einigen Jah-ren in Glarus und zeigte eine Auswahl seiner "Fridolinsdarstellungen", die er in weiten Teilen Europas fotografiert hatte. Er ist ein Mitwegbereiter und Förderer der Gemeindepartnerschaft von Näfels (heute Glarus Nord) mit Bad Säckingen. Der hier vorliegende Aufsatz über das Chorgestühl ist die Originalfassung. Sie ist in der Badischen Zeitung (leider gestutzt und gekürzt) veröffentlicht worden. Mit freundlicher Erlaubnis des Autors, mit dem ich seit der Partnerschaftsgründung in Freundschaft verbunden bin, darf die ungekürzte Fassung hier erscheinen.)

     

Beim Eintreten in das Münster wird der Blick geradezu in den Licht durchfluteten Chor zum Hochaltar geleitet, einem grandiosen Werk barocker Inszenierungs-kunst. Die gotischen Langhausfenster zu beiden Seiten des Chores und die ova-len Fenster oberhalb des Hochaltars bewirken die Lichtfülle. Die herrliche Raum-wirkung im Gotteshaus wird mit den farbigen Fresken von Spiegler, und dem künstlerisch fein abgestimmten Stuck von Feichtmayer erzielt. Die Länge des Chores und das auf beiden Seiten befindliche Chorgestühl sind ein Indiz dafür, dass die Kirche nicht als Pfarrkirche erbaut wurde, sondern als Stiftskirche, in der sich eine klösterliche Gemeinschaft mehrmals am Tag zum Gotteslob versam-melte. 

Chorgestühl im Fridolinsmünster in Bad Säckingen (Fotos: Karl Braun)
Chorgestühl im Fridolinsmünster in Bad Säckingen (Fotos: Karl Braun)

Das dunkle, solide Chorgestühl aus dem Jahr 1702 wurde von dem Altarbauer Johann Pfeiffer gefertigt, der einige Jahre später auch den grossartigen Hochaltar ausführte. Das Chorgestühl besteht aus vier Holzarchitektur-Elementen, wobei zwei dieser Elemente durch Beichtstühle getrennt sind, die etwa 20 Jahre früher in die Wand eingefügt wurden. Der Aufbau der Beichtstühle ist eine Besonderheit und erinnert an Portale aus der Renaissance. Zwei Stufen höher liegt der obere Teil des Chores zum Hochaltar, der seitlich von prächtigen Leuchtern flankiert wird. Im oberen Gestühl sind lediglich Bankreihen ausgeführt, während im unteren Teil Einzelsitze mit Armlehnen vorhanden sind. Auftraggeberin für das Chorgestühl war die Fürstäbtissin Maria Regina von Ostein, die aus einem alten elsässischen Adelsgeschlecht entstammte und von 1693-1718 regierte. Das sichtbare Zeichen ihrer Würde als Fürstäbtissin im Reichsfürstenstand zeigt sich in ihrem ovalen Wappen, dem steigenden Hund, der mit einer feinen Krone her-vorgehoben wird. Sie war auch die Äbtissin, die die erste Barockisierung des Münsters einleitete, daher ist ihr Wappen, neben dem Wappen der Fürstäbtissin aus dem Geschlecht Liebenfels, dem Schwanenflügel, über dem Triumphbogen angebracht.

 

Das Chorgestühl der adeligen Stiftsdamen hat nicht die reichhaltige, weit ausladende Pracht mit ausdrucksstarken Schnitzereien, Skulpturen und üppigem Dekor wie oft bei Männerklöstern üblich, sondern fügt sich schlicht in den Raum ein und wird daher zuweilen wenig beachtet. Etwas ganz Aussergewöhnliches sind die 108 Füllungen, von denen 10 beschädigt sind oder leer stehen. Während der grossen Sanierung des Münsters von 1968-77 war die Überraschung gross, als Restaurateure der Firma Kneer aus Munderkingen einige Heiligenbilder ablös-ten, die etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Füllungen aufgebracht wurden. Darunter entdeckten sie die ursprünglichen Malereien. In den Füllungen auf der Rückseite des Chorgestühls waren biblische Szenen des Alten und Neuen Testaments abgebildet, auch aus dem Leben von drei Heiligen. Die Himmelfahrt Mariens in der Füllung des Äbtissenensitzes zeigt als einzige noch er-haltene Abbildung den Zustand vor der Restaurierung. Die Bilder sind im unteren Teil des Chorgestühls in etwas hellerem Sepia-Ton, im oberen Abschnitt in einem dunkleren Farbton ausgeführt.

 

Die einzelnen Darstellungen des Alten und Neuen Testaments sowie die der  Heiligen sind nicht nach der heilsgeschichtlichen Abfolge sondern völlig durcheinander angebracht. Ob dies bereits nach Vollendung des Auftrags er-folgte, oder sich erst bei späteren gestalterischen Veränderungen ergab, bleibt unklar. Es könnte auch von Differenzen zwischen Stift und Künstler verursacht worden sein.

 

Nachdem die Fürstäbtissin mit den Chorherren bei der künstlerischen Gestaltung des Münsters ein ausgefeiltes theologisches Konzept verfolgte, bleibt es ein Rätsel, ob dem Künstler beim Bildprogramm freie Hand gelassen wurde. Ob die Arbeit von einem oder mehrere Künstlern ausgeführt wurde, ist nicht bekannt. Entsprechende Rechnungsbelege mit Namen der Künstler sind im Münsterarchiv nicht vorhanden. Der oder die Künstler haben nicht  immer mit grossem Ernst und eher flüchtig gearbeitet. Einige bekannte Bildmotive aus dem Alten Testament sind „die Vertreibung aus dem Paradies“ und „Jonas wird vom Walfisch ausgespieen“ - dieses Bild wird in gewisser Weise für das Eingreifen Gottes in das Leben auserwählter Menschen angesehen -, aus dem Neuen Testament  die „Taufe Christi“ und die „Auferweckung des Lazarus“.  Warum aber die Szene der Geburt Jesu nicht vorhanden ist bleibt unverständlich, da mit der Menschwerdung Jesu das Neue Testament beginnt. Es könnte sein, dass in den leer stehenden Feldern diese Abbildungen vorhanden waren. Unter den Motiven der Heiligen sticht besonders die „Stigmatisierung des heiligen Franziskus“, hervor. Die Wundmale des auferstandenen Christus übertragen sich auf den knieenden Franziskus.

 

Jonas wird aus dem Maul des Walfisches gespieen. (Foto: Karl Braun)
Jonas wird aus dem Maul des Walfisches gespieen. (Foto: Karl Braun)

Dass biblische Themen in einem Gotteshaus zu finden sind, ist allgemein üblich, hingegen werden profane Themen kaum vermutet. Diese Besonderheit des Säckinger Chorgestühls ist einzigartig. Vergleichbare Darstellungen sind in dieser Ausführung in Chorgestühlen sonst nicht bekannt. In den einzelnen Füllungen sind unter anderem eine flämisch aussehende Bauernschenke, sowie Land-schaften mit Ruinen und Baumdarstellungen zu finden. Die kleinen rechteckigen Felder von 10 cm x 31 cm mit einer breitrandigen Umrahmung waren sicher nicht für biblische Themen gedacht. Beispiele hierfür sind Landschaften mit  Wind-mühle, Stadtansichten an Flüssen oder Paläste, die nicht identifizierbar sind. Hervorgehoben sei die  Abbildung des Strassburger Münsters mit Schiffen auf der Ill. Zu erkennen ist die breite Fassade des Münsterbaus mit dem Nordturm der in der Abbildung seitenverkehrt wiedergegeben wurde. Nach Fertigstellung des Turmes mit einer Höhe von 142 Metern war er über Jahrhunderte nicht nur der höchste Kirchturm, sondern auch das höchste Bauwerk der Welt, zuvor war dies die Cheopspyramide mit 138,80 Metern.

 

Der Turm des Strassburger Münsters war ein weit bekanntes Bauwerk und wurde daher oft dargestellt. An welchen Vorlagen sich der Künstler bei  Stadtansichten und bei biblischen Abbildungen orientiert hat, bleibt ein Rätsel. War es der Zeitgeist, oder eine eventuelle Zerstreuung beim verinnerlichten Gotteslob, wenn Landschaften mit Personen und Stadtansichten den Blick zu sehr ablenk-ten?  Wurden diese weltlichen Darstellungen sogar als Provokation empfunden? Wer hat den Auftrag gegeben, diese profanen Abbildungen im Bereich der Brüstungen bis zur Unkenntlichkeit zu zerkratzten? Bei der Restaurierung wurden diese zerstörten Bilder belassen, um die geschichtliche Entwicklung nachverfolgen zu können. Für uns heute sind die stilistischen Bäume ein Ausdruck der großartigen Gottes-Schöpfung  und gleichzeitig Auftrag, diese zu bewahren. Die Ruinen erinnern an die Vergänglichkeit alles Irdischen, symbolhaft auch für die eigene Vergänglichkeit. 

 

Strassburger Münster. (Foto: Karl Braun)
Strassburger Münster. (Foto: Karl Braun)

 

Das Chorgestühl des Adeligen Stiftes in Bad Säckingen gehört sicher nicht zu den grossen, jedoch einzigartigen und bemerkenswerten Sehenswürdigkeiten. Da es einigen Klärungsbedarf gibt, könnte das Chorgestühl für die Forschung von Interesse sein. Eine wertvolle Quelle war der Artikel von Lucas Wüthrich aus dem Jahr 1975. Dass im Chorgestühl das Strassburger Münster, als Wahr-zeichen der Europastadt abgebildet ist, hat immerhin eine faszinierende Aktualität

 

Der auferstandene Christus (Foto: Karl Braun)
Der auferstandene Christus (Foto: Karl Braun)

Bilder: Zu oberst: Baumdarstellung, Mitte: Burgruine, unter: Möglicherweise eine Rheinland-schaft bei Bingen. (Fotos: Karl Braun) 


Samstag, 22. Mai 2021

 

Gerbi heute - die zehn Häuser der Gerbireihe wurden 1875 nach dem Muster der Stadtglarner Häuserreihen (nach dem Brand anno 1861) nach dem Brand des Gerbiquartiers erbaut.
Gerbi heute - die zehn Häuser der Gerbireihe wurden 1875 nach dem Muster der Stadtglarner Häuserreihen (nach dem Brand anno 1861) nach dem Brand des Gerbiquartiers erbaut.

 

Gerbigeschichten

oder

Aus Erinnerungen kann man nicht vertrieben werden

 

Gewiss erinnern Sie sich an ihre Jugendjahre und ihr Quartier, in dem Sie wohnten.

 

Je älter man wird, desto mehr tauchen Erinnerungen wie nostalgische Filme auf.  Die Kulisse von damals hat sich dem Fortschritt folgend verändert. Viele Men-schen sind weggezogen und verstorben. Das Umfeld der Kindheit bleibt wie eine Insel in Erinnerung, aus der man nicht vertrieben werden kann. Vielleicht tendiert man dazu, das Leidige zu verdrängen und das Angenehme zu romanti-sieren. Ich lade Sie ein, ins „Paradies meiner Jugend“.

 

Unser Quartier war die Gerbi. Sie bog von der Landstrasse mit sanfter Steigung bergwärts ab, passierte den „Hirzenplatz“, mit dem Hirzenbrunnen, den wir als Spielplatz herrlich nutzten, zog an einer langen Häuserreihe vorbei, die 14 Jahre nach dem Brand von Glarus entstanden war, nachdem das Quartier abgebrannt war und 35 Familien mit 138 Personen zu Obdachlosen machte. Am Ende der Häuserreise war ein weiterer etwas kleinerer Platz, auf dem auch Holzträmmel gelagert waren, auf denen es sich herrlich herumklettern liess. Die Strasse mündet in einer Kreuzung in die Schmiedgasse, den Herrenweg und die Berg-strasse ein.

 

Hinter der Häuserreihe war parallel ein Natursträsschen, mit Ställen, Holz-schöpfen und der Bachverbauung des Rautibaches, der vom Berghang ins Tal stürzt.

 

Dieses Quartier war wie eine grosse Bühne mit interessanten Menschen, die sich alle sehr gut kannten.

 

Just an der Einbiegung von der Landstrasse stand das Häuschen der Familie Tremp. Vater Dominik, ein nicht eben grossgewachsener, schlanker Mann, meist mit Dächlikappe und einen Stumpen im Gesicht. Er begegnet einem auf dem Fahrrad auf dem Weg zur oder von der Arbeit. Er imponierte mir im „Velokränzli“ mit seinen artistischen Fahrkünsten, in cremefarbenen Keilhosen und weissem Hemd, auf der „Schützenhofbühne“, indem er im Kreise Figuren fuhr, sogar frei-händig auf dem Sattel stand, auf dem Hinterrad Kreise zog und zum Abschluss auf dem Sattel kopfstand.

 

Im nächsten Haus war der Schuhladen von Frau Marie Landolt-Gallati, „ds „Schuäh-Marii“, wegen ihres Stimmfalls auch „ds Mäuder-Marii“ oder „ds Chiäni-Marii“ genannt. Ihr Mann, der „Mäuder-Sepp“, eine leutselige Persönlichkeit, der beim „Sager Fritz“ an der Bergstrasse als Säger arbeitete und viele Jahre mit Stolz das Volk im Gemeinderat vertrat. Bei ihr kaufte man sämtliches Schuhwerk, Finken, Halbschuhe, im Winter Galoschen über die Schuhe. Schuhe kaufen war ein Erlebnis, Schuhe probieren auch. In bester Erinnerung sind mir die Schuhe zur Erstkommunion, ein schnittiger Halbschuhe mit modischer „Specksohle“.

 

Nebenan war der „Steinbock“, mit historischem Wappen über dem Eingang, und der ledigen Wirtin „Schtäibogg-Elis“. Sie war eine stattliche, stramm-aufrechte Frau mit ebenso stattlichem Vorbau, sauber gekleidet, weisse nach hinten ge-kämmte Haare mit einem Hupi. Als Kind hatte ich einen Riesenrespekt vor der gewissen Vornehmheit ihres Auftritts.

 

Nun folgte der Kleiderladen des „Schneider Sepp Gallati“, der in den Fussstapfen seines Vater das Schneiderhandwerk fortsetzte und den Laden modernisierte. Er war mit der äusserst liebevollen Frau, „ds Wiäner Emmy“, verheiratet, die wegen ihrer mageren Statur an ein Kriegskind erinnerte, zumal sie grosse, schwarzum-randete Augen hatte und etwas kränklich schien.

 

Das Gegenteil war daneben der Bäcker Gerold Müller, ein wohlbeleibter, gemütlicher Brocken, der mit seiner munteren Familie und betriebsamen Ehefrau, wie auch mit der ledigen Schwester Emma, die im Vorstand der Jungfrauen-kongregation etwas Höheres war, und die im herrlich nach Brot duftenden Laden in weisser Schürze, Pfünderli für 43 Rappen, Fünfzehner- und Zwanzigerstückli verkaufte. Das Wasser lief einem im Munde zusammen, wenn man die frischen „Schnecken“ und „Nussgipfel“ roch.

 

Ein Haus weiter war die Familie des Sattler Johann Landolt, dem ich gelegentlich in seiner Sattlerwerkstatt beim Erneuern von Rosshaarmatratzen zuschauen durfte. Imposant schienen mir seinen Söhne, die wohlerzogen mithalfen und zu uns Kindern kameradschaftlich waren.

 

Nun folgte der Hirzenplatz mit dem ockerfarbenen Brunnen und der Messing-röhre, über die wir manchmal einen Veloschlauch stülpten, diesen am anderen Ende zubanden und mit Riesengaudi warteten bis er vom Wasser aufgebläht, zerplatzte. Just dahinter stand der herrschaftlich ausschauende „Hirzen“ mit der Bäckerei der ledigen Olga Aebli, „ds Hiirzä-n-Olgi“, die am altmodigen Ladentisch eine Kiste mit einem rechteckigen Loch hatte, durch das sie auf eine Papierrolle „Brotschulden“ schrieb, was sie auch im blauen Büchlein eintrug, das man statt Bargeld mitbrachte. Ende Monat wurde bezahlt. Sie ist mir als ältere Dame mit üppigem schlohweissem Haar, das mit braunen, kammfarbenen Klammern hochgesteckt hatte. Ihren Bäckergesellen, den bärtigen, weisshaarigen „Chüäni“, sah man, wenn er jeweils am Brunnen die „Ofächruggä“, mit der er das Brot aus dem Ofen holte, wusch.

 

Ein steil aufwärtsführende Seitenstrasse führte über eine kleine Brücke zum stattlichen Bühlhaus, das prominente Bewohner hatte: den leider all zu früh ver-storbene Gemeindeschreiber Kurt Müller, früher den sagenhaften Professor Vik-tor Schneider, der das "Heiliggrab" und Türflügel im Kloster gemalt hatte, zu mei-nen Zeiten Gerold Schwitter iun. bei dem ich Klavierstunden besuchte für damals noch 5 Franken pro Stunde.

 

Auf der andern Seite des Platzes begann die erwähnte Häuserreihe. Hier war in winzigen Räumen, das Wartezimmer und die Arztpraxis von „Togger Josef Galäti“, später auch „Toggter Viäregg“. Er war kleingewachsen, trug eine Brille mit ovalen Gläsern, fuhr einen grauen Fiat, später einen weinroten Peugot mit der Nummer GL 356, war Schulpräsident und klapperte mit den Zähnen, wenn er einem für „Moroprobe“ wegen Lungentuberkulose in den Brustkorb stach. Seine Kinder waren Josef, Lothar, Irmgard und Adrian. Seine Frau, eine besorgte, etwas streng wirkende, beschürzte Frau, an deren Schuhe und braun-beigen Strümpfe ich mich erinnere.

 

Ein Haus weiter war das Pelzgeschäft der Frau Holzeisen, einer dunkelhaarigen, freundlichen Frau, die als Witwe mit ihren Kindern dort lebte. Ihr Sohn Hans ist ins Welschland ausgewandert.

 

Daneben wohnte der mit rauher Stimme versehene Geschäftsmann Fritz Grünin-ger, „Fette und Öle“, langjähriger Gemeinderat, grosse und augenvergrössernde Brillengläser, später Vermittler und verspottet als „Jassschregg“. Seine überaus freundliche, aber zurückgezogene Frau schenkte ihm zwei hübsche Töchter und einen „Fritzli“, der leider schon im Kleinkindalter verstarb. Ich entsinne mich der Anteilnahmen und Betroffenheit des ganzen Quartiers.

 

Nun kam das Haus des Baumeisters Franz Schwitter, mit dem gleichnamigen Sohn, der mir ein lieber Spielkamerad war, mit der sehr emanzipierten Frau, die zu unserem grossen Erstaunen ein sehr schönes Auto besass und dieses sogar selber fuhr. Im gleichen Haus war eine Mietwohnung, in der das junge Ehepaar des Radiohändlers Anton Stein, später des Druckereibesitzers Walter Landolt-Ledergeber, und

 

Zimmermann Josef Feldmann wohnten.

 

Gleich daneben betrieb die Witwe Elisa Müller-Hauser ein kleines Viktualien-lädeli. Ihr Haus war besonders interessant, weil der ganze Hausgang gross-flächig mit Bildern bemalt. Besonders eindrücklich blieb mir der „Obersee“. Im ersten Stock wohnte der „Schori Fridel“ mit seine Frau, er pflegte jeweils mit Dächlikappe zum Flügeli herauszuschauen und das Wetter zu bestaunen und rauchte dazu Pfeife. Im obersten Stock wohnten Elsy und Sepp Leu-Schnyder, er ein Mechaniker bei der Firma Bosshard, Brückenbau, oft auf Montage, sie eine leutselige, heitere Frau, die später von der Krankenkasse als „Krankenbe-sucherin“ im ganzen Dorf gute Besserung wünschen musste und dabei fest-stellen, ob der „Kranke“ überhaupt „krank“  und zu Hause war.

 

Es folgten weiter die betagten „Chabisschnätzlers“, er ein Fabrikarbeiter, sie eben Profi-Kabis-Schnätzlerin, ein Beruf, den es damals gab. In der ersten Etage war eine häufig wechselnde Mietwohnung, der eindrücklichste Mieter der „Trümmeler Sepp“ und seine Frau „ds Treseli Röösi“, eine Wäscherin. Ihn nannten die Leute wegen seines etwas grimmigen Gesichtsausdruckes „Mändschäfrässer“. Zu oberst wohnen Fritz und Elsi Fischli-Heusi, beide gingen in die Fabrik, und er pflegte jenseits der Strasse einen ansehnlichen Gemüsegarten.

 

Daneben wohnte die Familie des Elektrikers Karl Gallati, der mit Weibels Anneli verheiratet war. Der älteste Sohn war mein Klassenkamerad, eine Tochter wurde später Lehrerin und der Kleinste Gymnasiallehrer. Mit im Haus wohnte die gütige Grossmutter mütterlicherseits, eine Zufriedenheit ausstrahlende und fromme Frau.

Eindrücklich blieb mir Vater Kari, der jeweils alte Telefonstangen nach Haus brachte und hinter dem Haus zu sägen und scheiten pflegte.

 

Nun kam mein Vaterhaus, mit einer Zimmermannbude im Parterre, er betrieb ein eigenes kleines Geschäft und besass noch im Oberseetal eine kleine Sägerei. Hausleute waren die alleinstehende Frau Landolt, „ds Hilarimarii“, mit ihrem Sohn, dem legendären Oberturner Hans Landolt-Schlittler und später hochbe-liebter Lehrmeister bei der „Möbli“ in Glarus. Von ihm verehre ich immer noch ein kleines, perfekt gebasteltes Spielzug-Lastauto, das ich in Erinnerung behielt. Im obersten Geschoss lebte das Ehepaar Probst-Wilpert, zeitweilig mit zwei Enkelkindern. Vater Probst mit buschigem Schnauz war ein talentierter Trompeter und im Militärspiel. Ich habe mitbekommen wie er nach langem, schwerem Krebsleiden im Hause starb.

 

Eine belebte Zeit hatte unser weiteres Nachbarhaus. Melgg Fischli, der Besitzer, war Schreiner bei der Möbelschreinerei Angst im Oberdorf, er radelte in San-dalen, Scheinerüberbekleidung, Meter in der Beintasche, mit den Velo täglich zur Arbeit. Seine Frau hatte im Parterre einen Coiffeursalon für Damen. Als Knabe gaffte ich oft durchs Fenster und schaute den Damen beim Haarschneiden, Föh-nen, Dauerwellen brennen zu. In den Mietwohnungen waren zuerst sein Bruder und Zimmermann Fritz, der ins Aargauische wegzog und dort eine Firma grün-dete. Zuoberst wohnten weit über die Flitterwochen hinaus Fridli und Lineli Schwitter-Da Mutten, der spätere langjährige Dirigent der Harmoniemusik, es folgte die Familie Marti mit flottem Sohn und hübschen Töchtern, später zog die ursprüngliche Italienerin Frau Feldmann ein, mit eigenem Hühnerhof und etlichen Hühnern hinter dem Haus, die  ihre die Hühner mit einem Beil selber metzgete und dann blutverspritzt ihr Suppenhuhn übertat. Sohn Hans war sehr lungen-krank, heiratete zwar ein attraktive Blondine, starb aber früh. Später kamen auch Bönis mit vier munteren Buben, Nüeschs mit Annerös und Walti, der später im Landesarchiv landete und mir einmal die Baupläne für die Gerbi von1874 zeigte.

 

Das letzte Haus war ein Textilwarenladen mit Weisswaren, den die  fröhlichen, klugen und umsichtigen Geschäftsfrau Karolina Feldmann-Tannhäuser führte. Sie schenkte mehreren Kindern das Leben, von denen einer bis zum Gerichtspräsi-denten aufstieg. Vater Ernst Feldmann verlegte Linoleumböden und, spannend, fuhr ein Motorrad BSA, mit dem er oft ins Ferienhaus im Oberseetal und zu seinem Bienenstock fuhr. Zuoberst wohnten die Grosseltern Fritz Feldmann-Hauser, der das Geschäft aufgebaut hatte. In dessen Stube das Bild des englischen Schiffes „Queen“ hing. Seine Frau Elise trug lange Mäntel und oft einen Hut, wenn sie “ins Dorf“ ging.

 

Am "Marzellenplatz" wohnten Karl und Katharina Leu, „ds Lächlers“ genannt, weil vor allem er mimisch stets zu lachen schien, sie hingegen machte mit zerfurch-tem Gesicht meistens einen „Lätsch“. Im Haus wohnte auch Melgg und Elsi Gallati-Arioli. Er war ein stämmiger, breitschultriger und urchiger Lastwagen-chauffeur, sie betrieb einen eigenen Taxibetrieb „GL 405“, eine äusserst fröhliche und lebenslustige Frau, die mir später die ersten Autofahrstunden gab, abseits der Zivilisation, im Oberseetal. In einer Wohnung wohnten auch Baumgartners, mit den Kindern Amalia, Sonja und Olivier, der später Präsident des Glarner-vereins in Bern wurde.

 

Ein hochbetagter Mann, Albert Fischli, „dr ganz alt Aeschä-Bärti“, mit hohem Stimmfall, Gehstock, Hut und energischem Auftreten, früher im Berggasthaus Äschen, ist mit dem „Jägerstübli“ benachbart.

 

Die dortige Wirtin war „ds Giiger Toori“, obwohl das Restaurant „jägerstubli“ hiess, nannte man es immer noch „dr Giiger“. Vater Manfred, ein vorzüglicher Turner und Sohn des früheren Oberturners Hausmann, war ein ruhiger, freundlicher Mann.

 

Vis à vis war das Lebensmittelgeschäft „Hörnli“ geführt von Albertina und Gerold Schwitter, im Haus, das früher dem "Friggäfranzi" gehörte, dem Franz Schwitter , der im 19. Jahrhundert in Mailand Schützenkönig und quasi Weltmeister geworden war.

 

Nebenan war noch die Rossmetzgerei Iten, just hinter dem Höreli-Brunnen.

 

Auf der östlichen Strassenseite der Gerbi stand ein stattliches Holzchalet mit der Aufschrift „Gott schütze unser Heimat“, das „Sigristenhaus“, von Willi und Anna Schwitter, der als Sakristan in der Kirche mit grossem Eifer und Ehrgeiz die Messmerdienste besorgte und dazu die ganze Familie einsetzte mit vier Töchtern und einem Sohn. Daneben hatte er einen Holzhandel, und ich bin heute noch stolz, dass ich ihm die Buchen-Klafterscheiter bieten durfte, wenn er sie an der Fräse in Tötze zersägte.

 

Das nächste alleinstehende Haus gehörte dem „Späggä-Freedi“, der als Alfred Feldmann-Speck Sekretär des Holz- und Metallarbeiterbundes tätig war und in den Gemeindeversammlungen als „Sozi“ seinem christlichsozialen Bruder Emil, dem vorzüglichen Gemeindepräsidenten, an den Karren fuhr, später nach Zürich berufen wurde und das Haus seinem Sohn, dem nicht minder bekannten Brief-träger Alfred Feldmann überliess.

 

Weiter nordöstlich stand das alleinstehende Haus des „Schirmflickers“, wo zwei Brüder Huser wohnten, von denen Hans mehrjähriger Fischerpräsident war.

 

Es folgte das Haus des Buchbinders Emil Müller, mit Papeterie. Lebensmittel-handel, Petrol und – als Kirchenpräsident -  Devotionalien, Gebetbücher, Kerzen, Rosenkränze. Er gab uns Kindern, die oft zum Einkaufen geschickt wurden, im-mer eine dürre, geschälte „Cheschtänä“, die wir Gofen auf dem Heimeg süggel-ten und wenn sie aufgeweicht war schliesslich zerbissen. im Haus half die spätere Geschäftsführerin Ruth mit, Sohn Fritz gründete die heutige Kartonagen-fabrik, die viele Jahre im Wydenhof betrieben wurde. Geschichtsträchtig waren die beiden, heute nicht mehr existierenden Wydenhofhäuser mit prächtigem Park. Dort wohnte unter anderen Landrat Emanuel Walcher, der 1887 wider Regierung und Landrat den Anstoss zum Bau des heutigen Schlachtdenkmals gab. Noch höre ich in Gedanken die Fabrikpfeife der früheren Hutmacherfirma, die jeweils durch Mark und Bein ging, wenn Arbeitsbeginn oder Schluss gepfiffen wurde.

 

Heute hat sich in der Gerbi vieles verändert. Die meisten erwähnten Gerbi-bewohner sind verstorben, einige Geschäfte verschwunden. Viele Häuser sind an neue Eigentümer übergegangen. Durch ein gütiges Geschick darf ich nach rund einem Vierteljahrhundert von Jahren in der Fremde wieder in meinem Vaterhaus wohnen. Eine Reihe von mehr oder weniger wichtigen Ereignissen aus meiner Kindheit werde ich in einer künftigen Rückschau nachreichen. Ich fühle mich hier wohl und zog mit meiner Familie 1985 hier wieder ein.

 

(Fortsetzung folgt)

 

 

Gerbi hinteres Strässchen. Früher Schöpfe und Ställe.
Gerbi hinteres Strässchen. Früher Schöpfe und Ställe.
Hinteres Gerbisträsschen vom Hrzenplatz aus.
Hinteres Gerbisträsschen vom Hrzenplatz aus.
Gerbi vom Hirzenplatz aus, leider zur Parkzone geworden.
Gerbi vom Hirzenplatz aus, leider zur Parkzone geworden.

Die am Pfingstmontag 1931 ertrunkenen Mädchen im Bett, aufgebahrt im Vaterhaus hinter der Rauti.
Die am Pfingstmontag 1931 ertrunkenen Mädchen im Bett, aufgebahrt im Vaterhaus hinter der Rauti.

Freitag 21. Mai 2021

 

Vor 90 Jahren: Tragödie am Obersee

 

Am Pfingstmontag 1913 ertranken drei Mädchen

 

von Fridolin Hauser (Fridli Osterhazy)

 

Am 25. Mai 1931 ertranken bei der «Waage» im Obersee Agnes, Barbara und Cäcilia Landolt, Töchter des verwitweten Fabrikarbeiters und Leichen-

trägers Melchior Landolt-Müller, genannt «Tschamper». Die Mädchen waren 16,17 und 18-jährig,

 

Beim wahrscheinlich aufsehenerregendsten und tragischsten Ereignis am Ober-see gab es keine erwachsenen Augenzeugen. Weitere Mädchen, die in der Nähe waren, sollen um Hilfe gerufen haben. Ein Mädchen sei zum Gasthaus Obersee gerannt, um das Unglück zu melden. Zwei Zürcher Touristen hätten die drei Schwestern aber nur noch tot bergen können. Wiederbelebungsversuche durch zwei herbeigerufene Ärzte (Hauser und Fritsche) blieben erfolglos. Etwa eine Stunde später traf das Spitalauto ein, um die Ertrunkenen zu Tale zu fahren.

 

Ein ganzes Dorf trauerte

Die Beerdigung wurde im «Glarner Volksblatt» vom 28. Mai 1931 wie folgt geschildert:

«Bestattung der Geschwister Landolt.  Bei aussergewöhnlicher Beteiligung von Seiten der ganzen Ortsbevölkerung und Teilnahme der hochwürdigen Geist-lichkeit von Näfels und der umliegenden Nachbarschaftsgemeinden fand heute morgen die Bestattung des zwar nicht unvorbereitet, aber  doch unversehens vom Tod ereilten Schwestern Agnes, Cäcilia und Barbara Landolt statt. Ein er-greifendes Bild, der stumme Zug der drei Särge zum Gottesacker, ergreifend auch der Anblick der grossen Grabesruft bestrahle von einer herrlichen Maien-sonne, die nicht so recht passte in dieses Bild der Trauer und des Schmerzes. Tröstend und erhebend die Bittgebete am Grabe. Wie träufelndes Balsam der Grabgesang der Schuljugend. Möge das für die Verblichenen an allen fünf Altären zugleich dargebrachte heilige Messopfer, die von der zahlreichen Trauer-gemeinde dabei verrichteten Gebete auch  den Schmerz des Vaters und der An-verwandten lindern! Die grosse Anteilnahme zeige auch den von auswärts Er-schienenen, dass das tragische Unglück hier allgemein als Dorfunglück emp-funden wurde, vor dem uns der Herrgott in Zukunft gütig bewahre.,…»

 

Gedenkstein am Obersee

Am Augstheiligtag 1931 wurde ein Gedenkstein an der Unglücksstelle einge-weiht. Auf Bronzetafeln steht: «Hier ertranken am Pfingstmontag 1931 die drei Schwestern Agnes, Cäcilia, Barbara Landolt, geb. 1913, 1914, 1915. Sie waren bereit, sei es du auch.» 

 

 Gedenkstein am Obersee bei der "Waage". Text auf der unteren Bronzetafel:

«Hier ertranken am Pfingstmontag 1931

die drei Schwestern

Agnes-Cäcilia – Barbara Landolt

Geb. 1913 – 1914 – 1915

Sie waren bereit – sei es auch du!" 

Grabmal im Mai 1932

 

Im Mai 1932 wurde ein Grabstein mit einer Holzschnitzerei des Künstlers Beat Gasser, Lungern, (1892-1967) angebracht. Dargestellt ist Christus, der den drei Mädchen entgegenschreitet. Die Holzschnitzerei ist auch heute noch am Eingang des ehemaligen Hauses von Melchior Landolt angebracht.


                                                                Inschrift:   

                         «Hier erwarten den Tag der Auferstehung die drei Schwestern

                                      AGNES – CÄECILIA – BARBARA LANDOLT                                       GEB. 16. Mai 1913, 25. Nov. 1914, 23. Dez. 1915 

im Obersee ertrunken am 25. Mai 1931.

 

       Selig sind die, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen.  Math 5,8»

Melchior, ein leidgeprüfter Mann

Der Verlust seiner Töchter war ein grausamer Schicksalsschlag für Melgg Landolt (1879-1946). Schon sein erstes Kind, ein Knäblein, wurde 1911 tot geboren. Auch seine erste Ehefrau Agnes Müller (1876-1918) starb früh.

 

Melgg hatte den Beinamen «Tschamper», nach ihm wurde später der Josefstag genannt, da er es an der Kirchgemeindeversammlung vom 14. Juni 1936 ge-schafft hatte, den Josefstag als unbezahlten Feiertag einzuführen. Der Josefstag wurde künftig «Tschampersunntig» genannt und hielt 37 Jahre Bestand. Erst die Kirchgemeindeversammlung vom 22. Juni 1973 beschloss, den Josefstag als «Gemeindefeiertag» wieder abzuschaffen. 

    Melchior Landolt-Müller,

   der schwer geprüfte Vater

  (1979-1946)

 

 


Samstag, 15. Mai 2021

 

Was wird aus der Sebastian-Prozession?

 

Sie ist durch Peter Tschudi 1564 zum ersten Mal erwähnt und 1531 als "Chrüüz-gang" von Glarus und Näfels festgehalten, weil in der Eidgenossenschaft "gemei-ner Krieg und offene Kriegsempörung" aufkamen. So schrieb ein gewisser Stephan Waller (Pseud.) im Pfarreiblatt Nr. 35, am 25. August 1996.

Als Quellen sind angegeben: Frefel A.: Baugeschichte der Stifts- und Pfarrkirche Schennis und ihrer Kapelle, Kaltbrunn 1913 und 1990, sowie Fäh Jakob: Kirchliche Chronik, Näfels 1989. 

Titelblatt des von Gottfried Tschudi-Kappeler gestifteten "Pilgerbuches". Gestaltung Koni Fischli.
Titelblatt des von Gottfried Tschudi-Kappeler gestifteten "Pilgerbuches". Gestaltung Koni Fischli.
Portal Sebastiankapelle Schänis von Norden
Portal Sebastiankapelle Schänis von Norden
Sebastiankapelle von Nordwesten
Sebastiankapelle von Nordwesten
Inneres der Sebastiankapelle am alten Linthlauf
Inneres der Sebastiankapelle am alten Linthlauf

Ich bin dabei, das Pilgerbuch 1962 abzuschreiben. Gestiftet von Gottfried Tschudi-Kappeler, der ein eifriger Sebastianspilger war, wurden jeweils Notizen über die Wallfahrt. Langjährig hat es Hilarius Landolt Werkführer, nachgeführt. Nun hat das Restaurant "Windegg", wo jeweils nach dem Pilgergottesdienst die Unentwegten eingekehrt waren, ehe sie den Heimweg antraten, den Betrieb eingestellt. Die ständig zurückgehenden Teilnehmerzahlen geben Sinn, diesen alten Brauch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und eine Durchführung in diesem Jahr anzustreben, nachdem er im letzten Jahr wie so vielen der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen ist.

 

 

Hier vertilgten die Pilgerinnen und Pilger in den letzten Jahrzehnten die "Pilgerwurst", gestiftet vom Pfarramt, die Getränke offerierte der Kirchenrat.
Hier vertilgten die Pilgerinnen und Pilger in den letzten Jahrzehnten die "Pilgerwurst", gestiftet vom Pfarramt, die Getränke offerierte der Kirchenrat.
Traurige Botschaft für alle Gäste des beliebten und hoch gerühmten Restaurants "Windegg".
Traurige Botschaft für alle Gäste des beliebten und hoch gerühmten Restaurants "Windegg".

Dem Wirteehepaar gehört reichlich Dank und Anerkennung für die vorzügliche Führung des frequentierten Speiserestaurants und eben den "Näfelser Sebastians-Pilgertreff."

 

Pilgerstatistik (aus dem erwähnten Pilgerbuch)


Jahr  Datum              Pilgerführer                                                 Anzahl Pilger*innen   

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1962 19. August       ?

1963 18. August       P. Volkmar Sidler OFMCap

1964 ?                                                                                       Einzelgängerin Anna Landolt

1965 22. August       Kaplan Jakob Fäh

1966 25. August       P. Marin Graber OFMCAp                            210

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1967 16. August       P. Volkmar Sidler OFMCap                           ca. 190

1968 25. August       Vikar Walter Mathis                                      160

1969

1970 16. August       Pfarrer Jacques Stäger                                126

1971 22. August       Vikar Walter Mathis                                        89 

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1972 27. August       Vikar Walter Mathis                                      120 (neue Route)

1973 19. August       Pfarrer Jacques Stäger                                105

1974 25. August       Kaplan Jakob Fäh                                          74

1975 

1976 22. August       Pfarrer Jacques Stäger                                 121

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1977

1978 27. August       Pfarrer Jacques Stäger                                   99

1979 2. September  Dekan Jakob Fäh                                            97

1980 10. August       Dekan Jakob Fäh                                          182

1981 30. August       Pfarrer Jacques Stäger                                 172

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1982 22. August       P. Volkmar Sidler OFMCap                           178

1983 21. August       Kanonikus Jakob Fäh                                   100

1984

1985 1. September   Kanonikus Jakob Fäh                                     52

1986 3. August          Pfarrer Jacques Stäger                                   74

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1987 23. August       Pfarrer Jacques Stäger                                    73

1988 21. August       Kanonikus Jakob Fäh                                      42

1989

1990

1991 25. August        Dekan Jacques Stäger                                   50

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1992                          Kapellenrestauration

1993  22. August                                                                              80

1994  26. August       Pfarrer Martin Mätzler                                    60

1995  27. August       Pfarrer Martin Mätzler                                    47

1996 1. September   Pfarrer Martin Mätzler                                    30

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1997 24. August       Pfarrer Martin Mätzler                                     47

1998

1999 22. August       Pfarrer Martin Mätzler                                     56

2000 27. August       Pfarrer Martin Mätzler                                     43 (8 Auto/1 zu spät)

2001

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2002 25. August      Pfarrer Martin Mätzler                                      44 (6 Auto)

2003 24. August      Pfarrer Pius Bosak                                           41

2004 22. August      Pfarrer Pius Bosak                                           48 (14 Auto)

2005 

2006 20. August      Br. Leonhard und Mariano OFM                       26

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2007 19. August      Pfarrer PIus Bosak                                           36     

2008 17. August      Br. Paul und Antonio OFM                                27

2009 16. August      P. Leonhard, Vikar Josef, Br. Jean                   29

2010 22. August      Vikar Dr. Sebastian F. Thayyil                          39

2011 21. August      Br. Hans OFM, Guardian                                  40 (10 Auto)

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2012                        Vikar Dr. Sebastian F. Thayyil                          30

2013 18. August      Vikar Dr. Sebastian F. Thayyil                          31

2014 17. August      Dekan Pfr. Harald Eichhorn                             34

2015

2016 31.August       Dekan Pfr. Harald Eichhorn                            50  (18 Velo, 4 Auto)

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2017 20. August      Dekan Pfr. Harald Eichhorn                             48 (17 Velo, 6 Auto)

2018 19. August      Dekan Pfr. Harald Eichhorn                             44 (18 Velo, 9 Auto)

2019 18. August      Dekan Pfr. Harald Eichhorn                             55 (20 Velo, 5 Auto)

2020                        Corona Pandemie

2012 ? 

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Die Prozession fand - siehe Leerzeilen - nicht statt.

Bei schlechter Witterung wurde i. d. Regel ein Verschiebungsdatum angesetzt.

                                                   

Auszüge aus dem Pilgerbuch                                          

 

1. Sept. 1985

 

Wir beten und wir wallen,

zwar nicht grad an der prallen

und südlich heissen Sonne

mit Andacht und mit Wonne.

 

(Beim Bahnhof Niederurnen reist

Kriminalrichter Werner Hauser per Zug nach Hause,

um Schirme zu holen

und sein flotsches Haupt zu trocknen)

 

Dann hört man in  der dunklen

Kapelle uns noch munkeln:

"Wänn's Liächt hett, wäär's daa häiter,

 so sei es - und so weiter!" (F.O.)

 

1. 9. 1996

 

Diesmal mach das Beten Spass!

Alle wurden flotsch-drägg-nass!

Dreissig kamenm an der Zahl,

viele schon zum x-ten Mal.

 

Was der Herrgott jedoch meinte,

als der Himmel derart weinte,

werden wird mit unsern Sünden

leider nicht so schnell ergründen.

 

Wichtig ist -  lebt der Brauch!

Offen ist die "Windegg" auch!

Betet schön und singet Lieder!

Kommt im nächsten Jahre wieder! (F.O.)

 

 

Am 17. Januar 1997 ist aus Anlass der Hilariessen die dritte Nummer der Schrift "Alts und Nüüs im Rautidorf DS RUUTLIWASSER" erschienen mit einem Schwerpunktbeitrag über die Sebastiansprozession der Näfelser nach St. Sebastian Schänis.

 

 

Am Freitag, 14. August 2015 ist von Pia Bühler ein Interview über dis Sebastiansprozession aufgenommen und danach bei "Radio Maria" ausgestrahlt worden.

 

Literatur und Quellen:

 

Fraefel A./Gaudy Adolf: Baugeschichte der Stifts- und Pfarrkirche in Schännis und ihrer Kapellen, 1913 und 1990, Katlbrunn.

 

Waller Stephan (Pseud.): Sebastianprozession  -  ein Näfelser Kirchenbrauch, in: Pfarrblatt der Römisch-katholischen Pfarrei Näfels, 62. Jahrgang, Nr. 35, 25. August 1996.

 

Fäh Jakob: Kirchliche Chronik Näfels, 1989.

 

Pilgerbuich, Fischli Karl: Sebastians-Prozession Näfels-Schänis, 1922 bis 20... gestiftet von

Gottfried Tschudi-Kappeler, handgeschrieben nachgeführtes Pilgerbuch, stationiert im Restaurant "Windegg" bei Familie Anton Jud-Tremp.

 

Rimle Meinrad: Warum eine Sebastians Kapelle? in : Linth-Zeitung, 27. August 1993 (Baureportage).

 

Anderes Bernhard: Die Sebastianskapelle versunken - erwacht - gepflegt, in: Linth-Zeitung, 27. August 1993.

 

Zahner Alfred: Einleitung zur Baureportage der Restauration, in: Linth-Zeitung, 27. August 1993.

 

Fäh Hans/ Zeller Paul: Die Wallfahrt zum heiligen Sebastian in Schänis, in: Terra Plana, Zeitschrift für Kultur, Geschichte, Tourismus und Wirtschaft, Mels 1974, Nr. 4, Seite 5ff.

 

J.F: St. Sebastian und die Pest, in: Glarner Volksblatt, Näfels, 67. Jahrgang, Nr. 192, 10. August 1961, S. 3.

 

J. Sch.: Die Wallfahrt nach St. Sebastian bei Schänis, in: Glarner Volksblatt, Näfels, 39. Jahrgang, Nr. 139, 19. August 1933, S. 2.

 

J. Sch: Die Wallfahrt nach St. Sebastian, in: Glarner Volksblatt, Näfels, 28. Jahrgang, Nr. 98, 19. August 1922.

 

Osterhazy Fridolin: Alts und Nüüs im Rautidoorf, DS RUUTLIWASSER, 3. Jahrgang, Näfels, 17. Januar 1997 (zum "Hilariessen" der Freunde der Geschichte von Näfels FGN)

 

siehe auch:  Museum Schänis - St.Sebastianskapelle (museum-schaenis.ch)

 

                     SAGEN.at - Die Sebastianskapelle zu Schänis

                     

 

! Aufruf !

 

Lasst uns auch in diesem Jahr 2021 die Sebastiansprozession aufrecht erhalten!

 

Der "Fäller" für die Sebastiansprozession ist angeblich Maria Himmelfahrt (15. August). Eine Woche nach diesem kirchlichen Hochfest ist am Sonntag, 22. August 2021 die Prozession fällig. Vermutlich ist bis zu diesem Zeitpunkt noch kein neuer Pfarrer für die Pfarrei Näfels im Amt. Gemäss Bistums-Mitteilung ist die Stelle eines Pfarrers für unsere Pfarrgemeinde auf 1. September 2021 zu besetzen. Wir werden also zum fälligen Zeitpunkt der Sebastiansprozession "pfarrerlos" sein. 

Wie wäre es, wenn wir aus dem Kreis der Pfarreigenoss*innen ein kleines Komitee zur Durchführung ad hoc zusammenstellen würden. Mit ein paar Gleichgesinnten könnten wir die Organisation in die Hand nehmen und an das Pfarramt und an den Kirchenrat gelangen mit der Bitte, dieses Vorhaben zu bewilligen und allenfalls behilflich zu sein, einen "Pilgerführer" zu finden. Gewiss wäre auch unser Vikar Dr. Sebastian F. Thayyil (nomen est omen!) nicht abgeneigt, uns bei der Suche eines "Wallfahrtsgeistlichen" zu helfen. Und wenn alle Stricke reisen, könnten wir uns an die eifrigen Seelsorger, die einen Strick um den Bauch habe, die Franziskaner im Kloster auf dem Burgstock, wenden.

 

Also, Unentwegte, hervor!

Wir stellen zu Fuss, zu Wasser, per Velo oder für Betagte per Auto

die Sebastianswallfahrt auf die Beine!

 

Email: hauserfridolin@bluewin.ch

oder

Telefon: 055 - 612 35 13

 

 

Der Bittgang der Näfelser nach St. Sebastian Schänis dürfte weit über 500 Jahre gepflegt worden sein.
Der Bittgang der Näfelser nach St. Sebastian Schänis dürfte weit über 500 Jahre gepflegt worden sein.

Donnerstag, 6. Mai 2021

 

Erinnerungen an meinen Lehrer der 5. und 6. Klasse

 

Balz Schmuckli-Märchy

 

1905-1966

Vor 55 Jahre starb mein ehemaliger Lehrer der Primarklasse 5./6., Dorfschulhaus, Näfels. Ich war sein Schüler in den anfangs Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Nun habe ich habe ich eine Kolumne ausgegraben, die im November 1998 im "Fridolin" erschienen ist. Gerne erinnere ich mich an die zwei Schuljahre bei ihm. Wenn ich mich nicht irre, waren wir 46 Schüler im Zimmer 6, im zweiten Stock des Dorfschulhauses, dort war auch die Pausenglocke zu bedienen. Ähnlich einer Haustürglocke war der Druckkopf "d Lüüti" justament rechts der Schulhaustüre in die Wand eingelassen. Rund die Hälfte unseres Klassenjahrgangs ist bereits verstorben. Die Erinnerung auch an meine Klassenkameradinnen und -kameraden ist da auch mitverpackt.

 

Die Drohung war immer die gleiche, wenn wir als Sechstklässler im Turnen Blödigkeiten im Kopf hatten: „ Wänn’r etz nüd rächt tuänd, göm-mer gu Geometrii machä, hä!“. Die Alternative war Korbball, und spielen war schöner als Dreiecke und Quadrate ins Geometrieheft zu zeichnen.

 

Die Mädchen durften nicht mit uns turnen; solches war damals ungehörig. Statt dessen mussten sie in die „Arbeitsschule“ oder wie man heute sagen würde in die „Handsgi“. Wir waren alle mehr oder weniger Rotzlöffel und Schwatzbasen wie andere Gofen auch.

 

Hans ass für einen Fünfräppler Fliegen, für zwanzig Rappen sogar Maikäfer und für einen Fünfziger einen Wurm. Sepp kam chronisch zu spät, weil er einen weiten Weg hatte und ausserdem den Milchwagen zur Milchzentrale bringen musste. Chronisch später kam auch Walti, weil er in seiner Familie nicht früher geweckt wurde. Mäx konnte am besten „messerlen“, d.h. aus allen möglichen Körperverrenkungen heraus ein geöffnetes Messer so zu Boden fallen lassen, dass es im Gras stecken blieb und nicht umfiel. Er war jener Schlingel, der als erster heimlich Zigaretten rauchte. Othmaari, der Stärkste, war wegen seiner Schläge gefürchtet. Die „Weiber“, so nannten wir unsere Mädchen, machten nur etwa einen Drittel der Klasse aus. Sie sassen in der Zweibankreihe an der Fensterfront gegen Sonnenaufgang und gegen die Strasse. Sie waren nicht nur artiger als wir Buben, sondern auch reifer. Verstohlen kicherten wir, wenn sich beim einen oder andern unter der Schürze Brüste andeuteten.

 

Geschulschätzelt wurde aber noch nicht. Wehe, wenn einer verträumt das Meitli mit den schwarzen, dicken Zöpfen oder das andere mit den zarten blonden Schöpfli anglotzte! Die kollektive Wachsamkeit der Buben war so stark, dass man als „Mäitlischmögger“ arg in Verruf geriet. Jede „aufkeimende Liebe“ zu einer Klassengenossin wurde mit Hohngelächter bestraft.

 

Für unsere Streiche war die ganze Rasselbande erforderlich, keiner  durfte  sich abweichlerische Affären leisten; zumal man manchem Mädchen misstraute, ein „Chlägälitatsch“ zu sein und unsere Geheimnisse dem Lehrer auszubringen.  Der „Graben“ zwischen der „Mäitlibankreihe“ und den „Bubenbänken“ war eine interessenmässige Geschlechtertrennung.

 

Aber wir hatten es in der Schule schön. Von Lehrer B. ging eine duldsame Art gegenüber Schwächeren aus. Zwar pfutterte er, wenn wir unruhig waren oder immer noch falsch machten, was er schon „hundertmal gesagt“ hatte. Schwätzer überführte er, indem er den Deckel seines Lehrerpultes hochstellte, dass nur noch sein strubliger Haarschopf über die Kante ragte und er im Pultinnern nach etwas zu kramen schien. Plötzlich rief er, zur Verblüffung aller, den Namen eines Schülers oder einer Schülerin, die gerade schwatzten. Die übersinnlichen Kräfte waren allerdings entzaubert, als wir entdeckten, dass im Pultdeckel ein kleines Loch Durchblick auf die Klasse gewährte. Manchmal gab es - wie damals üblich - wenn mehrmaliges Mahnen nichts fruchtete ein paar Quätsche. Ich sehe uns noch mit unseren Ohrfeigengesichtern dastehen wie die Ölgötzen, wenn er mit uns schimpfte, und solches tat er nur, wenn er wirklich Grund hatte.

 

Er war kein perfekter Lehrer. Sein Image bei den Erwachsenen war nicht so gut wie das seiner Parallel-Lehrer. Aber das kümmerte uns nicht. Wir gingen gerne zu ihm und hatten den Eindruck, er möge uns auch ganz gut leiden. Wir waren also eine ganz gewöhnliche Schulklasse wie es sie überall gab.

 

Einmal jedoch, als wir im Turnen so blöd taten, dass wir tatsächlich ins Schulhaus zurückkehren mussten, „um Geometrie zu machen“, stellte Kari, unser pfiffigster Schüler, fest, der Lehrer schreibe an der Wandtafel auf Brusthöhe immer so eigentümliche Zeichen. Tatsächlich hatte er die Gewohnheit jeweils an die Wandtafel Schriftzüge zu kritzeln, die wir nicht entziffern konnten. Durch Kari darauf angesprochen, was die Zeichen  bedeuteten, antwortete der Lehrer: „Ich ha diä uufgschribä, wo immer schwätzed... und uf diä chumi dä nuch zrugg!“ Doch Kari hatte ein feines Gespür für die Wahrheit. Er zeichnete an seinem Platze die geheimnisvollen Linien und Kreislein nach, rollte das Papierchen zusammen und schob es in den Holzfederhalter, der innen hohl war.

 

Zwei oder drei Jahre später ereignete sich etwas Unglaubliches. Im Fach „Stenographie“ weihte uns in der Klosterschule Mariaburg, einer von Kapuzinern geleitete Knabensekundarschule, Lehrer Pater Gerardin Bernet, genannt "Geri" in die Geheimnisse dieser Schlangenlinien und Kreislein nach der Methode „Stolze & Schrei“ ein. Mitten in einer Lektion schrie einer auf, man weiss nicht mehr, war es Kurti, Hermi oder Bert, und wandte sich an Kari: „Hee, Du häsch doch ämaal bim Leehrer Balz söttigi Zäichä abgschribä und zämä-gröllälät i-Fädärähalter innä gschoppet. Häsch der Chäib nuuch ?“ Kari kicherte: „Hou, ja!“ Der Federhalter war noch da. Kari untersuchte ihn, zog sorgfältig ein Papierchen heraus. Mit Hurragebrüll umringten wir ihn, vergassen den Stenounterricht und starrten begierig auf Karis Zettelchen. Tatsächlich! Das waren Stenographie-Silben, die Kari von der Wandtafel abgeschrieben hatte! Man sah nur noch Bubenköpfe und Ohren über dieser wiederausgegrabenen Botschaft, begierig zu erfahren, was unser Lehrer Balz damals wirklich an die Wandtafel geschrieben hatte.

 

Nach einigen Versuchen war es raus. Mit Riesengebrüll quittierten wir die „Übersetzungen“ von Kari, der langsam buchstabierte: „Brot holen, in der Apo...the...ke ein Päck...li Knobel...tee, nicht ver... gessen!“ Ha!  Triumphgeschrei erfüllte den Raum; die angebliche „Sünderliste der Schwätzer“ war ein ganz gewöhnliches „Poschtnizädäli“, das ihm seine Frau aufgetragen hatte. Pater "Geri" hatte Mühe, den Bubenknäuel wieder aufzulösen und die Ordnung wieder herzustellen. Über die tumultartige Störung aufgeklärt, lachte er schallend heraus und meinte: „Gsänder, uhni mini Steno hetted-er daas üüerer Läbtig niä usäpraacht!“.

 

Lehrer Balz erkrankte noch vor seiner Pensionierung. Der Schulrat hatte ihn - aus was für Gründen auch immer - zwei Schulklassen nach unten versetzt. Diese disziplinarische Massnahme hat unser Lehrer nie verkraftet. Eine tückische Blutkrankheit brach aus und raffte ihn bald hinweg. Als ich von seinem Spitalaufenthalt erfahren hatte, sandte ich ihm einen persönlichen Brief. Wie von einem Medium gesteuert flossen mir Gedanken und Worte aus der Feder. Aus der dumpfen Ahnung, seine Krankheit könnte schlimmer sein als vermutet, schilderte ich ihm, weshalb ich gerne bei ihm zur Schule gegangen war und dankte ihm für alles Schöne, das wir bei ihm erlebt hatten. Seine herzensgute Frau richtete mir aus, er hätte diesen Brief immer wieder gelesen und vor Freude geweint. 

 

Seither sind viele Jahre ins Land gezogen. Kaum jemand spricht noch von Lehrer B. 

 

Heute weiss ich, dass uns Lehrer Balz etwas vermittelt hat, was kein Schulinspektor und keine Schulbehörde prüft: Die Toleranz, das Leben und Lebenlassen als Voraussetzungen für eine Existenz nebeneinander. Die Fähigkeit, das Gescheite und das Dumme, den Ehrgeiz und die Gutmütigkeit, die Talente und die Schwächen einem humanen Prinzip zu unterstellen und den Mitmenschen zu akzeptieren wie er ist, ohne Rücksicht Herkunft oder materielle Stellung. Damit wäre nämlich auch heute noch mehr Staat zu machen als mit Schultüchtigkeiten allein. Seine Botschaft täte heute mehr denn je not in einer Gesellschaft, in der Menschen auf der breiten Klaviatur von feinem Zynismus bis zum hinterhältigem Mobbing „fertigmacht“ werden und wo mancher die Achtung längst durch Verachtung des Nächsten ersetzt hat, um überhaupt selber noch jemand zu sein. 

 

So gesehen hat der wahrscheinlich weniger als seine Kollegen geachtete Lehrer Balz in Wirklichkeit vielleicht mehr geleistet, als die Menschen wahrhaben wollten.     

                                

Dies und Das Nr. 392 Fridolin 12.11.1998, Frontpage  

Balz Schmucki 1961,

Ausschnitt aus einer Foto der gesamten Lehrerschaft in Näfels.


Dienstag, 20. April 2021

 

Als es noch "des eebig Liächtli" gab!

 

Die "Blume" im Oberdorf und die legendäre Wirtin Ottilie

Theres Schwitter-Schön (Ehefrau von Coiffeuer Fritz Schwitter-Schön), Serviertochter, und Arthur Hauser-Oertig (?). (Foto: Priska Michel-Hauser)
Theres Schwitter-Schön (Ehefrau von Coiffeuer Fritz Schwitter-Schön), Serviertochter, und Arthur Hauser-Oertig (?). (Foto: Priska Michel-Hauser)

Die "Blume", leider heute kein Restaurant mehr, weckt frohe Erinnerung, nicht nur für die Wirthausgäste, sondern besonders für die Fasnächtler. Die "Blume" wurde liebevoll auch "des eebig Liächtli" genannt, weil dort am Fasnachts-dienstag bis in den Aschermittwoch hinein, meistens als letzte Station für Mäsch-ger, Fasnachtsbetrieb herrschte. Sagenhaft war die Mehlsuppe. Auf der Treppe die legendäre Wirtin Ottilie, und ihr Ehegatte Arthur Hauser-Oertig, genannt "Bluämä Tuuri", Aufnahme von der Landstrasse aus.

Jüngeres Bild - die Eingangstreppe links ist gemauert.
Jüngeres Bild - die Eingangstreppe links ist gemauert.
Die "Biografie" der "Blume", aufgezeichnet von Josef Müller-Landolt, Bico-Sepp (Landesarchiv)
Die "Biografie" der "Blume", aufgezeichnet von Josef Müller-Landolt, Bico-Sepp (Landesarchiv)

 

Die Blume wurde 1892 erbaut als oberstes Reihenhaus von Maurermeister Abraham Leuzinger, Mollis.

 

Am Fridlistag, 6. März 1893, erwarb es Schlosser Ferdinand Hauser-Eicher (1863-1925). Er war Wirt zur Blume 1893-1923, dann übernahm er den "Froh-sinn" am Klosterweg.

 

Durch Kauf und Erbteilung kam die "Blume" Ende 1928 an Gaswerkmeister Walter Hauser-Schaller (1889-1959) mit Emma Rymann-Hauser (*1899), die mit Ferdinand Hauser (1888-1927) verheiratet war.

 

1943-1955 wirtete Emma Hedwig Hugentobler-Bischofberger (1890-1977), die mit Ernst Hugentobler (*1885) verehelicht war.

 

1966 kaufte Maurer Arthur Hauser (1916-1980) die "Blume" und wirtete bis 1980.

 

Nach seinem Tod führte seine Frau Ottilie Theresia Hauser-Oertig (1925-2009) das Restaurant weiter.

Aus dieser Ehe erwuchsen vier Kinder:

5. Juni 1947               Arthur Johannes

9. März 1949             Jolanda Ottilia

2. Oktober 1950        Hedwig Theresia

26. September 1959 Priska Agnes

 

Die Wirtsleute zur "Blume" ab 1893

 

1893-1923 Ferdinand Hauser-Eicher

1924-1925 Thomas Tinner-Hösli

1926-1927 Witwe Maria Chiot

1928-1943 Emma Hedwig Hauser-Bischofberger

1943-1955 Emma Hedwig Hugentobler-Bischofberger

1956-1980 Arthur Hauser-Oertig

1980-2003 Ottilia Theresia Hauser-Oertig

 

Reminiszenz von der Fasnacht in der "Blume"

 

Fasnacht 1987. Wirtin Ottilia auf dem Tisch, ein Maschger liest die Eloge (Lobrede) auf Ottilie Hauser-Oertig, Wirtin zum eebigä Liächtli.(Foto: Priska Michel-Hauser)
Fasnacht 1987. Wirtin Ottilia auf dem Tisch, ein Maschger liest die Eloge (Lobrede) auf Ottilie Hauser-Oertig, Wirtin zum eebigä Liächtli.(Foto: Priska Michel-Hauser)

 

 

Ottilie, Ottilie, die bist so schön wie eine Lilie!!!

 

1)  Ottilie, Ottilie, die bist so schön wie eine Lilie,

        die in dem Garten steht

        von morgens früh bis spät.

 

2)  Ottilie, Ottilie, die bist so schön wie eine Lilie,

die an der Fasnacht wacht

und ständig Kaffi macht.

       

3)  Ottilie, Ottilie, die bist so schön wie eine Lilie,

        die Kaffi Schnaps serviert

        und nie den Nerv verliert.

 

4)  Ottilie, Ottilie, die bist so schön wie eine Lilie,

die Mehl und Suppe mischt

und immer sauber tischt.

 

 5)  Ottilie, Ottilie, die bist so schön wie eine Lilie,

die immer grünt und blüht,

stets bis der Morgen früht.

 

6)  Ottilie, Ottilie, die bist so schön wie eine Lilie,

die du drei Töchter hast,

die jede zu uns passt.

 

7)  Ottilie, Ottilie, die bist so schön wie eine Lilie,

die ist nicht nur bei Föhn

so schön, so schön, so schön.

 

8)  Ottilie, Ottilie, die bist so schön wie eine Lilie,

und bist von Fall zu Fall

der schönsten Blumen all.

 

9)  Ottilie, Ottilie, die bist so schön wie eine Lilie,

die jedermann hier liebt,

solange es dich gibt!

Hurra!!!   

 

Fridli Osterhazy

 

                                                

30.6.1987

Nicht "Susanna im Bade", sondern Ottilie kurz vor dem Eintauchen ins "Karlsbad",  das alpine Obersee-Stafel-Schwimmbad Näfels, flaniert von ihren Töchtern. (Bild: Priska Michel-Hauser)
Nicht "Susanna im Bade", sondern Ottilie kurz vor dem Eintauchen ins "Karlsbad", das alpine Obersee-Stafel-Schwimmbad Näfels, flaniert von ihren Töchtern. (Bild: Priska Michel-Hauser)
"Blume" heute obern über Eck, untern frontal. (Aufnahme 21.4.2021)
"Blume" heute obern über Eck, untern frontal. (Aufnahme 21.4.2021)

 Sonntag, 18. April 2021

 

Gastbeitrag von Jochen Sautermeister*

 

 

Vom Beichtvater zum Moraltheologen: Zum 100. Geburtstag von Franz Böckle

Die Erfahrungen im Beichtstuhl und in der Krankenhausseelsorge waren für Franz Böckle wichtige Schritte auf seinem Weg zu einem der prägendsten Moraltheologen Deutschlands. Ein Gastbeitrag des heutigen Inhabers von Böckles Lehrstuhl in Bonn zeichnet dessen Leben nach.

 

Bonn - 18.04.2021

 

Am 18. April 2021 wäre der Moraltheologe Franz Böckle hundert Jahre alt geworden. Er hat die deutschsprachige Moraltheologie mit ihrem Anspruch auf gesellschaftliche und kirchliche Verantwortung im Dienste des Menschen mass-geblich beeinflusst – bis heute. In einem Nachruf kurz nach seinem Tode am 8. Juli 1991 würdigte ihn einer seiner Schüler vielsagend so: "Mit dem Tode des Moraltheologen Franz Böckle neigt sich eine wichtige Epoche der Moraltheologie zu ihrem Ende. […]

 

Die Moraltheologie konnte sich aus ihrem anachronistischen neu-scholastischen Korsett befreien und wurde zur theologischen Ethik, welche endlich die gei-stesgeschichtliche Entwicklung seit der Aufklärung einholte und sich […] dem zeitgenössischen ethischen Diskurs stellen konnte. Franz Böckle hat diesen Durchbruch mit internationaler Ausstrahlung entscheidend mitgetragen und mit-geprägt." (Hans Halter)

 

Franz Böckle wurde am 18. April 1921 in Glarus/Schweiz geboren. Nach seiner Gymnasialzeit in Stans, während der er noch mit dem Arztberuf liebäugelte, studierte er ab 1941 Philosophie und Theologie am Priesterseminar St. Luzi in Chur, der heutigen Theologischen Hochschule Chur. Dort sprach ihn besonders die Beschäftigung mit der Philosophie und der systematischen Theologie an. Zu dieser Zeit war längst noch nicht absehbar, dass er zu einem der massgeblichen Moraltheologen in Kirche und Gesellschaft im deutschsprachigen Raum werden sollte – im Gegenteil, hatte doch die neuscholastische Handbuchliteratur auf dem Boden eigener biografischer Erfahrungen eine eher abschreckende Wirkung auf ihn.

 

Prägende Begegnungen mit Hans Urs von Balthasar

 

Nach seiner Priesterweihe im Jahr 1945 wirkte er bis 1950 als Kaplan in Zürich. Wie viele Moraltheologen seiner Generation veranlassten ihn seine zahlreichen Gespräche im Beichtstuhl dazu, die Konzentration auf Verfehlungen gegen Kir-chengebote und die rigide Sexualmoral kritisch zu hinterfragen. Die Not der Men-schen mit einer sündenfixierten Beichtmoral wurde zu einer prägenden Erfah-rung seines weiteren Theologie-Treibens. Ferner beeinflussten ihn während die-ser Zeit die freund-schaftlichen Begegnungen mit dem Theologen Hans Urs von Balthasar, der ihn für das vertiefte Studium der Bibel und der Theologie der Kir-chenväter motivierte, sowie die Mitarbeit in einer ökumenischen Arbeitsgruppe, die sein Interesse für die moderne evangelische Theologie und besonders für Karl Barth weckte. Hier wurden wichtige Grundsteine für seine spätere Lehr-, Forschungs- und Vortragstätigkeiten gelegt.

 

Von 1950 bis 1952 sollte Franz Böckle auf Weisung seines Diözesanbischofs dann in Rom sein Dissertationsstudium abschliessen. Seine Dissertation galt dem biblischen Thema "Die Idee der Fruchtbarkeit in den Paulusbriefen" – ein Thema, das ebenfalls noch nicht auf eine moraltheologische Laufbahn schliessen liess. Während seiner Zeit in Rom wirkte Böckle zugleich in der Klinikpastoral. Dort konnte Böckle an seine früheren medizinischen Interessen anschließen und wurde mit ganz konkreten medizinethischen Herausforderungen konfrontiert. Die Bedeutung dieser Erfahrungen hat er kurz vor seinem Tod so beschrieben: "Ich war zwei Jahre Krankenhausseelsorger an der Clinica Quisisana in Rom, wohnte im Haus, ass mit den Ärzten und diskutierte mit ihnen praxisnah die konkreten Anforderungen an ihre Verantwortung. Die Grundsätze unserer fundamenta-listischen kirchlichen Moral, die ich in der täglichen Ausbildung zu hören bekam, liessen mich den praktischen Fragen der Ärzte gegenüber eine bittere Hilflo-sigkeit spüren. […] Diese Erfahrung am Start meiner Laufbahn war ungemein prägend für meine weitere Entwicklung. Es war mir klar: Moral macht man nicht von oben. Sittliche Erkenntnis wächst aus dem Bemühen um eine umfassend menschliche Antwort auf konkrete Herausforderungen des Lebens."

 

 

Die biografische Wende zum Moraltheologen geschah 1952. Aufgrund des Todes des amtierenden Professors für Moraltheologie in Chur wurde Franz Böckle von seinem Diözesanbischof überraschend zu dessen Nachfolger ernannt. Bevor Böckle jedoch den Lehrstuhl übernehmen wollte, verbrachte er ein einjähriges Vorbereitungsstudium beim Münchener Moraltheologen Richard Egenter. Bei ihm lernte er moraltheologische Erneuerungsbestrebungen kennen. Die Beschäfti-gung etwa mit der Wertphänomenologie und Psychologie waren das theoretische Grundgerüst für eine Revision der neuscholastisch-kasuistischen Handbuchmo-ral hin zu einer theologischen Ethik und hoben die sittliche Erfahrung als wichtige ethische Erkenntnisquelle hervor. Von 1953 an lehrte und forschte Böckle als Professor für Moraltheologie in Chur, bis er dann 1963 auf den Lehrstuhl für Mo-raltheologie an der Universität Bonn als Nachfolger des renommierten Moraltheo-logen Werner Schöllgen berufen wurde.

 

Als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland war Bonn damals das Zentrum des politischen Lebens und von internationaler Relevanz. Treffend beschreibt Hans Halter die Konstellation: "Dieser Lehrstuhl war Böckle mit seiner Offenheit für interdisziplinären Austausch, mit seiner Spürnase für aktuelle Probleme und Problemlösungen, mit seiner Begabung für eine schnelle Lagebeurteilung und für nicht selten brisante erste Stellungnahmen in den Medien auf den Leib geschnit-ten. Die moraltheologische Tagesordnung wurde fortan noch stärker als bisher nicht bloss von aktuellen akademischen Fragestellungen, sondern auch gesell-schafts- und kirchenpolitischen Ereignissen und Entwicklungen bestimmt."

 

Intensive Beschäftigung mit Themen rund um Ehe und Familie

 

Insbesondere der Aufbruch durch das Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) und der Einschnitt durch die Enzyklika Humanae vitae (1968) von Papst Paul VI. führte zu einer intensiven Beschäftigung Böckles mit den Fragen von Ehe, Fami-lie, Fortpflanzung und Sexualität. Als Präsident der "Sachkommission IV: Ehe und Familie" der Würzburger Synode, auf der die Bistümer der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam das Zweite Vatikanum für die deutsche Kirche rezipie-ren wollten, war er federführend für den Synodenbeschluss "Ehe und Familie" verantwortlich. Das ebenfalls in dieser Kommission erarbeitete Dokument "Sinn und Gestaltung menschlicher Sexualität", das vor dem Hintergrund des damali-gen humanwissenschaftlichen Erkenntnisstandes und theologischer Reflexionen umsichtige Perspektiven für eine erneuerte Sexualmoral entwickelte, bekam le-diglich den Rang eines Arbeitspapiers.

 

Theologisch-ethisch beschäftigte Böckle die zentrale Frage, wie sich Freiheit und Verantwortung des Menschen theologisch begründen las-sen. Seine Überlegun-gen zu einer "theonomen Autonomie" mündeten in dem Buch "Fundamental-moral", das grossen Einfluss auf die Weiterentwicklung der Theologischen Ethik hatte.

 

Im Rahmen gesellschaftlicher, politischer und sozialethischer Fragestellungen war Böckle in seiner Bonner Zeit eine der gefragtesten Stimmen. Er äusserte sich praktisch zu allen grossen gesellschaftspolitischen (Sexualstrafrecht, Schwanger-schaftskonflikte, Ehescheidung), medizinethi-schen (Abtreibung, Sterbehilfe, Or-ganspende, Reproduktionsmedizin, AIDS), friedensethischen (NATO-Doppelbe-schluss, atomare Abschreckung) oder entwicklungspolitischen Themen (Bevölke-rungspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, Umwelt) und zu forschungsethischen Fragestellungen (Gentechnologie, Risikoabschätzungen) seiner Zeit. In Kirche, Gesellschaft und Politik war er in zahlreichen Gremien und Kommissionen als theologisch-ethisches Mitglied und Berater tätig. Die Bundesärztekammer nahm Böckle als Mitglied auf. Zudem war er etwa lange Jahre Leiter der wissen-schaftlichen Kommission "Entwicklung und Frieden" sowie Mitglied der deut-schen Sektion "Iustitia et Pax" und hat massgeblich am Hirtenschreiben "Ge-rechtigkeit schafft Frieden" der deutschen Bischöfe mitgewirkt.

 

Von 1983 bis 1985 war Franz Böckle auch Rektor der Universität Bonn; von 1985 bis 1987 übernahm er über seine Emeritierung im Jahr 1986 hinaus die Aufgabe eines Prorektors. Schon zu dieser Zeit hatte ihn eine Krebserkrankung ereilt, die nach zwei Operationen unerwartet rasch am 8. Juli 1991 zum Tode führte. 1991 hatte ihm die Medizinische Fakultät der Universität Bonn die Ehrendoktorwürde verliehen. 1986 war er mit dem Grossen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und 1989 mit dem Ehrenzeichen der deutschen Ärzteschaft ausge-zeichnet worden.

 

Keine Scheu vor Herausforderungen

 

Das breite und beeindruckende gesellschaftliche, politische und kirchliche Enga-gement von Franz Böckle blieb nicht ohne Spannungen und Konflikte. Der damalige Dekan der Bonner Fakultät, Heinz-Josef Fabry, sagte in der Würdigung der Fakultät zum Tode Böckles: "Franz Böckle hatte rechtzeitig gewarnt, musste aber mit tiefer persönlicher Enttäuschung mit ansehen, wie sich die Kirche, wie sich seine Kirche in weiten Bereichen selbst aus der gesellschaftlichen Akzep-tanz herauskatapultierte."

 

Franz Böckle, der während seiner ganzen Bonner Zeit auch als Seelsorger in der Pfarrei "Christi Auferstehung" in Bonn-Röttgen wirkte, zeichnete sich durch eine hohe Dialogbereitschaft und ein aus dem christlichen Glauben heraus motiviertes politisches und gesellschaftliches Engagement und Verantwortungsbewusstsein aus, das in tiefer kirchlicher Verbundenheit auch an der Weiterentwicklung von Theologie und Kirche interessiert war. Böckle scheute sich daher nicht, auch ge-rade die brisanten Herausforderungen anzugehen. In einem Interview hatte Böckle einmal gesagt: "Das Wichtigste einer theologischen Ethik ist die Befreiung des Menschen zur Freiheit einer verantworteten Gewissensentscheidung. Frei handeln kann der Mensch nur, wenn er aus Gründen, und zwar aus objektiven Gründen, handelt. […] Die Erkenntnis des richtigen und falschen Weges eigener Verantwortung muss der Mensch doch mit seinen eigenen Kräften suchen und zu gehen wagen!"

 

 

 

Prof. Dr. theol., Dr. rer. soc.

*Jochen Sautermeister

 

inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie

und Direktor des Moraltheologischen Seminars

an der Katholisch-Theologischen Fakultät der

Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität

Bonn


Eine weiterer lesenswerter Beitrag erschienen.

 

Christoph Strack und Raphael Rauch

 

100. Geburtstag von Franz Böckle:

Die deutschen Kanzler hörten auf diesen Glarner Theologen

 

Franz Böckle hat die Moraltheologie revolutioniert. Er wurde heute vor 100 Jahren in Glarus geboren. Er studierte in Chur und wirkte später in Bonn. «Franz Böckle war der erste theologische Ethiker, der telegen war», sagt der Churer Ethiker Hanspeter Schmitt. Die deutschen Kanzler Schmidt und Kohl schätzten seinen Rat.

 

 

abrufbar unter: www.kath.ch


Samstag, 17. April 2021

 

Morgen Sonntag wäre Franz Böckle 100 Jahre alt

 

Erinnerung an Franz Böckle

 

"Sein  wissenschaftliches Werk ist aktueller denn je"

 

Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Deutschlands) Pressemitteillung - life PR

 

(lifePR) (Bonn, 17.04.21) Am 18. April wäre er 100 geworden: Franz Böckle, bis zu seiner Emeritierung Professor für Moraltheologie in Bonn, war ein Wegbereiter der Ökumene. Aus Anlass des bevorstehenden 3. Ökumenischen Kirchentags in Deutschland erinnert ZdK-Präsident Thomas Sternberg an den aus der Schweiz stammenden Wissenschaftler, der „nicht nur die Moraltheologie gegen viele Wi-derstände entschieden weitergebracht hat, sondern auch mit grossem Re-nommee christlich fundierte Positionen in gesellschaftliche und politische Dis-kurse einbrachte.“ Zeit seines Lebens habe Böckle „aus den Wurzeln des Zweiten Vatikanischen Konzils Brücken zum Protestantismus und in die Ge-sellschaft gebaut“. Noch immer seien auch seine Impulse zu Lebensschutz, Sexualmoral, Wirtschaftsethik und Biowissenschaften lesenswert.   

 

Böckle, der 1921 im Kanton Glarus geboren wurde, Priester und Moraltheologe in Chur war und 1963 den Ruf auf den Lehrstuhl für Moraltheologie an der Bonner Universität erhielt, „lebte die Impulse, die das Zweite Vatikanische Konzil der Welt und unserer Kirche gab: Er integrierte die Erkenntnisse anderer Wissenschaften und schrieb verständliche Beiträge zur christlichen Ethik“, erinnert sich Sternberg. Als Experte für die protestantische Ethik Karl Barths wurde er zum Brückenbauer zwischen den Kirchen.

 

Zu Böckles Hauptwerken zählt sein Buch Fundamentalmoral, das Generationen von Theologiestudierenden einen zeitsensiblen Zugang zu Fragen der theolo-gischen Ethik ermöglichte. Er entwarf darin eine Anthropologie, die den Wert menschlicher Freiheit theologisch ausbuchstabiert, zugleich aber auch die Ver-letzlichkeit menschlichen Daseins in allen Phasen des Lebens skizziert.

 

Sein Ziel und seine Hoffnung waren es, den Bruch zwischen dem Lebensalltag von Menschen und der  Schultheologie zu überbrücken. So griff er das Freiheits-verständnis des Konzils auf, um im öffentlichen Diskurs um die päpstliche En-zyklika Humane vitae ab 1968 den Wert partnerschaftlichen Miteinanders zu unterstreichen. „Viele Debatten, die Gesellschaft und Kirche bis in unsere Zeit begleiten, wurden von Franz Böckle argumentativ durchdrungen, publizistisch strukturiert und streitbar vertreten,“ sagt Sternberg. Böckle arbeitete gern mit theologischen Kolleginnen und Kollegen zusammen, gab u. a. mit Karl Rahner und Franz Xaver Kaufmann die Reihe Christlicher Glaube in moderner Gesell-schaft heraus.

 

Zurückblickend auf den 1991 im 71. Lebensjahr verstorbenen Wissenschaftler und Priester, resümiert der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katho-liken: „Die Stimme Franz Böckles täte uns im Diskurs der deutschen Katholiken heute gut. Sein Eintreten für die Autonomie des Menschen aus christlicher Verantwortung, seine Beiträge zu vielen Einzelfragen – wie Lebensschutz, partnerschaftliche Beziehungen und würdiges Sterben – sind aktueller denn je.“ 

 

Anlagen

2021_04_16 Böckle .pdf   

 

Quelle:

www.lifepr.de/pressemitteilung/zentralkomitee-der-deutschen-katholiken/Erinnerung-an-Franz-Boeckle-Sein-wissenschaftliches-Werk-ist-aktueller-denn-je/boxid/843892


Mittwoch, 14. April 2021

 

 

Böckle, Bonn und Gewissensfreiheit

 

oder

Einer der bekanntesten Moraltheologen kam aus Glarus

 

 

Das Diasporaklima der Stadt Glarus war für Franz Böckle Nährboden seiner Entwicklung. Die Reformierten als Mehrheit und Katholiken als Minderheit  waren sogar vertraglich zur gegenseitigen Rücksichtnahme gehalten. Dieser Vertrag, genannt „Simultaneum“, regelte seit dem 16. Jahrhundert bis 1964 gemeinsame Vermögensrechte und Pflichten, vor allem die gemeinsame Benutzung der Stadt-kirche, bis die Katholiken am 16. August 1964 ihre eigene Fridolinskirche bezo-gen. Vor diesem Hintergrund wurde Franz Böckle am 18. April 1921 geboren, als Sohn des Büchsenmachermeisters und späteren Zeughausbeamten Fridolin und der Clara, geborene Lampe. Er wurde ein europaweit bekannter Moral-theologe.

 

Böckle, der Arzt werden wollte, entschloss sich kurz vor der Maturitätsprüfung am Kolle-gium Stans, Priester zu werden.1941 trat er ins Priesterseminar St. Luzi in Chur ein, wurde 1945 zum Priester geweiht. An seine Primiz erinnern Fotos in: „Die katholische Pfarrei und Kirchgemeinde Glarus-Riedern“ (1993).

 

Von 1946-50 war er Vikar in Zürich-Wollishofen. In dieser Zeit lernte er Hans Urs von Balthasar (1905-88) kennen. Durch ihn kam er zum Bibelstudium und be-gann sich für die moderne evangelische Theologie und für Karl Barth zu inter-essieren.1950 sandte ihn der Churer Bischof nach Rom, damit er dort seine Stu-dien abschliesse. Daneben war er Spitalseelsorger. 1953 promovierte er auf Vor-schlag von Hans Urs von Balthasar mit der Dissertation „Die Idee der Frucht-barkeit in den Paulusbriefen“. Böckle erschrak, als ihn der Bischof noch während des Studiums, zum Dozenten für Moraltheologie in Chur ernannte. Er bedingte sich aus, sich an der Universität München darauf vorzubereiten. Dort befreun-dete er sich mit Josef Ratzinger. Im Herbst 1953 begann seine Lehrtätigkeit am Priesterseminar Chur. Mit Johannes Feiner, Josef Trütsch, später Josef Pfam-matter und Franz Böckle kam Chur in den Ruf, eine der fortschrittlichsten Schu-len im deutschsprachigen Raum zu sein. Mit der Herausgabe von „Fragen der Theologie heute“,  mit Vorträgen und weiteren Publikationen wurde Böckle inter-national bekannt.

 

1963 wurde er als Professor für Moraltheologie an die Universität Bonn berufen.

Das Besondere dieses Lehrstuhls ist seine Lage an einer politischen Schaltstelle von internationaler Bedeutung. Dieser Lehrstuhl war Böckle mit seiner Offenheit für interdisziplinären Austausch, mit seiner Spürnase für aktuelle Probleme und Problemlösungen, mit seiner Begabung für eine schnelle Lagebeurteilung und für nicht selten brisante erste Stellungnahmen gewissermassen auf den Leib geschnitten.“  So schrieb Hans Halter, sein Schüler und sein dritter Nachfolger an der Theologischen Hochschule in Chur (1976-90) und spätere Professor für Mo-raltheologie an der Universität Luzern (1990-2004).

 

Dann ging es Schlag auf Schlag. 1965 gab Verleger Paul Brand mit Yves Congar, Hans Küng, Karl Rahner, Edward Schillebeeckx und anderen die Internationale Zeitschrift für Theologie „Concilium“ heraus, Böckle stiess als Experte für Moral-theologie dazu. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) war ein Stimulus für Böckles Forschung. Die Studentenrevolte und andere „Bewegungen“ forderten zu Stellungnahmen der Moraltheologie heraus: Dritte Welt, Umwelt, Grüne, Femi-nismus, Antibabypille, Sexualstrafrecht, Abtreibung, Ehescheidung, Euthanasie, Retortenbaby, Gentechnologie, Friedensforschung... . Eine atemberaubende Zeit überschwemmte die Gesellschaft mit neuen Fragen und Herausforderungen. Böckle wurde zum gefragten Referenten, Autoren und Berater in kirchlichen und staatlichen Gremien.

1983-85 stand er als Rektor der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität Bonn mit über 40’000 Studenten vor. Sogar im Ruhestand ab 1987 wurde er als Refe-rent und von staatlichen Kommissionen regelrecht aufgesogen. Bis zum Tod war er Berater der Bundesärztekammer und leistete Basisarbeit  für das Embryonen-schutzgesetz 1991. Die Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät der Uni-versität Bonn unterstrich sein wertvolles Wirken.

 

Während Böckles Wissenschaftlerkarriere stieg sein ehemaliger Budenkamerad und Freund Joseph Ratzinger kirchenhierarchisch höher. Die „Entwicklung“ der kirchlichen Moraltheologie forderte Böckles Einwände heraus. Die Diskrepanz  zur Position Roms gipfelte in der „Kölner Erklärung“ anfangs 1989, die 163 deut-sche Professoren, auch Böckle, unterzeichneten.  Böckle sah die Erkenntnisse moderner Moraltheologie gefährdet. „Das Wichtigste einer theologischen Ethik ist die Befreiung des Menschen zur Freiheit einer verantworteten Gewissensent-scheidung. Frei handeln kann der Mensch nur, wenn er aus Gründen, und zwar objektiven Gründen, handelt“. Damit geriet er in krassen Gegensatz zur dogma-tisch geprägten Strömung Roms. Das Gewissen werde zum ‚anthropologischen Ort des Glaubens’, sagt Böckle mit dem evangelischen Theologen Gerhard Ebe-ling, und ergänzt: „Das ist die Pflicht, durch die ich von meinem schöpferischen Grund angesprochen werde, über mich selbst in Freiheit verantwortlich zu verfü-gen. Das ist Sittlichkeit.“ Manchmal habe er  „Angst, weil kirchliche Strukturen von menschlichen Machtgefühlen, Machtgelüsten und Intrigen durchzogen seien.“ Die Sprache verrate dies. Böckle bekam mit Äusserungen des zum Kardinal aufgestiegenen Joseph Ratzinger Mühe: „Wenn die Sprache nicht stimmt, dann ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist. Und ist das, was gesagt wird, nicht das was gemeint ist, dann kommen keine guten Werke zustande.“  Mit Sprache täusche man sich selber und die anderen ...

 

Böckle starb dennoch mit der Kirche versöhnt: „...und zwar ist es der ganze, tiefe Glaube, dass ich getragen bin und mein Leben getragen ist von diesem liebenden Gott, der bei Jesaja sagt: „Ich habe dich in meine Hand geschrieben, du bist mein, und wenn Vater und Mutter deiner vergässen, ich vergesse deiner nie.“ Bei der Ehrendoktorverleihung am 1. Juni 1991 schliesst er: „... es trägt mich das Bewusstsein, dass mein Schöpfer, der mich einst beim Namen gerufen hat, mir auch über den Tod hinaus seine Treue bewahrt.“ Sieben Tage später starb er in Glarus. Eine treue Begleiterin und Stütze war ihm viele Jahre Claire Reiter.

 

Böckle hinterliess 509 Schriften, als Hauptwerk die „Fundamentalmoral“ (1977). Er genoss die Anerkennung der Bundeskanzler Helmuth Schmidt, Helmuth Kohl, des Bundespräsidenten Johannes Rau, des Bundesministers Georg Leber, der Bundesministerin Annette Schawan, heute Deutsche Botschafterin am Heiligen Stuhl in Rom, des SPD-Parteipräsidenten Hans-Jochen Vogel und vieler anderer mit Rang und Namen. Er erhielt das Grosse Bundesverdienstkreuz. Solche Aner-kennung bekam er von Rom keine; denn die „moral-theologische Wetterlage“ hatte unter Johannes Paul II. wieder geändert.

 

Böckle war mit Aussenminister Gerhard Genscher Mitglied des Rotary Clubs Bonn Süd-Bad Godesberg. Die „Franz Böcklestrasse“ in Bonn und in Neun-kirchen sind nach dem Mann benannt, der am Fusse des Glärnisch aufge-wachsen war, einem Mann, der auch Nicht-Theologen Zuversicht hinterlässt.

 

Bis bald! Ihr Pankraz.

 

Erschienen in "Fridolin", Rubrik "Dies und Das", November 2011

 


Dienstag, 13. April 2021

 

Ein grosser Glarner wäre am 18. April 2021 100-jährig geworden

 

Prof. Dr. theol., Dr. med. h.c. Franz Böckle, Glarus/Bonn

Prof. Dr. Franz Böckle als Rektor der Universität Bonn (Foto: Archiv Uni Bonn)
Prof. Dr. Franz Böckle als Rektor der Universität Bonn (Foto: Archiv Uni Bonn)

 

Glarner Nachrichten, Nr. 84, Dienstag, 13. April 2021, Seite 2

 

 

"Gemeinderat und Kirchenrat würdigen das Schaffen Franz Böckles

 

Der 1991 verstorbene Moraltheologe Franz Böckle wäre am 18. April 100-jährig geworden. Zu diesem Anlass würdigen Gemeinderat und Kirchenrat das Leben des Stadtglarners gemeinsam.

 

Laut der gemeinsamen Mitteilung des Katholischen Kirchenrats Glarus-Riedern-Ennenda und des Gemeinderates Glarus gehörte Franz Böckle zu den bedeutendsten Moraltheologen des 20. Jahrhunderts. Er wurde am 18. April 1921 an der Reitbahnstrasse 22 in Glarus geboren und ist in Glarus aufgewachsen.

 

Nach seiner Karriere als Professor, Dekan, Rektor und Moraltheologe von internationalem Ruf ist er an seinem Lebensabend an den Fuss des Glärnisch zurückgekehrt, nach Glarus, jenen Ort, den Franz Böckle in seinem Herzen nie ganz losgelassen hatte.

 

Franz Böckle starb am 8. Juli 1991 und wurde auf dem Friedhof in Glarus beigesetzt.

 

Nach seinem Theologiestudium am Priesterseminar St. Luzi in Chur wurde Franz Böckle 1945 zum Priester geweiht. Er schrieb seine Dissertation zum Thema «Die Idee der Fruchtbarkeit in den Paulus-Briefen». Ab 1953 wirkte er als Professor für Moraltheologie in Chur und wurde 1963 nach Bonn berufen, wo er von 1983 bis 1985 Rektor der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität war. Mit über 500 Publikationen (seine Werke wurden in sieben Sprachen übersetzt) war Franz Böckle ein gefragter Referent, Berater und Experte der deutschen Bischofskonferenz, politischer Kommissionen, der deutschen Bundesregierung und der Bundesärztekammer.

 

1987 überreichte ihm der deutsche Bundespräsident Richard von Weizäcker das grosse Bundesverdienstkreuz. 1989 erhielt er das Ehrenzeichen der deutschen Ärzteschaft und 1991 die Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät Bonn.

 

«Vorzüglicher Botschafter der Gemeinde und des Landes»

Franz Böckle setzte sich in seinen Werken auch mit Themen wie Dritte Welt, Umwelt, Feminismus, Sexualität, Antibabypille, Abtreibung, Ehescheidung und weiteren «heissen Eisen» der Kirche auseinander. Dabei kam er auch immer wieder zu gegensätzlichen Erkenntnissen zur offiziellen Haltung des Vatikans. «Das Wichtigste einer theologischen Ethik ist die Befreiung des Menschen zur Freiheit einer verantworteten Gewissensentscheidung. Frei handeln kann der Mensch nur, wenn er aus Gründen, und zwar objektiven Gründen, handelt», war eine seiner Aussagen, welche exemplarisch seine gedankliche Nähe zur Ökumene und zur Einheit der Konfessionen erkennen lässt.

 

Der Gemeinderat Glarus und der Kirchenrat der katholischen Kirchgemeinde Glarus-Riedern-Ennenda sind auf die Glarner Persönlichkeit Franz Böckle sehr stolz und würdigen deshalb das Leben und Schaffen von Franz Böckle zu seinem 100. Geburtstag. Franz Böckle war dank seiner zurückhaltenden Art, seiner Verdienste und seines grossen gesellschaftlichen Engagements ein vorzüglicher Botschafter der Gemeinde Glarus."

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Zwei Reden 

 

Christian Marti,

Gemeindepräsident Glarus

 

Begrüssung, Würdigung, Dank am 16. April 2011 im Soldenhoff-Saal, Glarus

Herr Vorsitzender

Herr Synodepräsident

Sehr verehrte Damen und Herren Kirchenpräsidentinnen und -präsidenten

Liebe Stadtglarner Töchter und Söhne

Meine sehr verehrten Damen und Herren

 

1      Begrüssung

"Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst; ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir. Sieh her: Ich habe dich in meine Hand geschrieben."

 

Der 46. Vers aus Jesaja 49 schmückt den Grabstein von Prof. Dr. Franz Böckle auf dem Friedhof in Glarus. Der Besuch seines Grab war meine erste "Begegnung" mit Franz Böckle. Grab und Spruch verraten für mich zweierlei: Franz Böckle blieb trotz seiner grossen akademischen Verdienste sowie seines beeindruckenden gesellschaftlichen Aufstiegs Glarner im Herzen und ein auf Gott vertrauender, bescheidener Mann. Nach einer erfolgreichen akademischen Karriere in der Hauptstadt der alten Bundesrepublik Deutschland, kehrte Franz Böckle zum Sterben an den Fuss des Glärnisch zurück. Wunderbar behütet an jenen Ort, den er in seinem Herzen nie ganz losgelassen hatte.

 

Es ist für mich deshalb eine grosse Freude und Ehre am heutigen Gedenkanlass mitwirken zu dürfen. Herzlichen Dank für die Einladung.

 

2      Würdigung

Als Gemeindepräsident bin ich stolz und dankbar, dass unsere Ge-meinde Nährboden für grosse Persönlichkeiten ist. Glarus bietet als lebenswerte Heimat gute Voraussetzungen für arbeiten, wohnen und geniessen und auch des Werdens. Die uns zur Verfügung stehenden Ausbildungsmöglichkeiten waren und sind Ausgangspunkt und Milieu für bedeutende Persönlichkeiten.

 

Da sind zum Beispiel (beispielhafte, nicht abschliessende Aufzählung):

 

    Matthias Ambühl, Anführer der Glarner Schlacht bei Näfels 1388

    Aegidius Tschudi (1505–1572), Historiker und Politiker

    Dr. Joachim Heer (1825–1879), Landammann und Bundesrat

    Dr. Niklaus Tschudi, Gemeindepräsident Glarus im Schicksalsjahr     1861 

 

Und da ist eben Franz Böckle, der im gleichen Jahr geboren wurde wie meine Grossmutter. Sein Leben verstehe ich als Symbol und Repräsentation für jene verbindende Ökumene, wie ich sie mir wünsche: Akzeptanz der Unterschiede, Grosszügigkeit gegenüber den unterschiedlichen Auffassungen, Interesse an den Besonderheiten der jeweils anderen Konfession und der Hintergründe von Traditionen und Regelungen.

 

Die Stadt Glarus war sicherlich Nährboden für die Entwicklung und Ausbildung dieser Haltung sowie für die Berufsentscheidung von Franz Böckle. Die Koexistenz der evangelisch-reformierten Mehrheit und der römisch-katholischen Minderheit war durch den Vertrag des „Simultaneums“ seit dem 16. Jahrhundert bis 1964 praktisch verordnet. Das so verbriefte Zusammengehören zwang und motivierte die beiden Konfessionen zur Pflege eines vernünftigen Umgangs und regelte die gemeinsamen Vermögensrechte und Pflichten, vor allem die gemeinsame Benutzung der Stadtkirche. Der Vertrag wurde aufgelöst, als die Katholiken am 16. August 1964 ihre eigene Fridolinskirche bezogen. In diesem Klima der ökumenischen Realität wuchs der am 18. April 1921 geborene Franz Böckle als Sohn des Büchsenmachermeister und späteren Zeughausbeamten Fridolin Böckle und der Clara Böckle, geborene Lampe, auf. Auf der Basis dieser Glarner Wurzeln wurde Franz Böckle ein europaweit bekannter Moraltheologe, der bis in die oberste Etage der Deutschen Regierung hohes Ansehen genoss und von der Wissenschaftsmedizin gar mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet wurde.

 

Franz Böckle war gedanklich seiner Zeit wohl voraus. Tief verwurzelt in der katholischen Tradition, aber frei im Denken, schreiben und sprechen. Freiheit und Verantwortung ziehen sich wie ein roter Faden durch viele seiner Schriften. Begriffe, die mich als Liberaler besonders angesprochen haben. Franz Böckle war frei im Denken und hinterfragte, weil er als Bürger und Akademiker Verantwortung für sein Tun, die Dogmen der Kirche und die Vorurteile der Gesellschaft übernehmen wollte. Der berufliche Erfolg in der bundesdeutschen Hauptstadt Bonn gab ihm die Sicherheit auch gegen den Trend zu schwimmen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es genau diese Mischung aus gesellschaftlicher Stellung und unkonformem Denken war, weshalb Böckle von verschiedenen deutschen Politikern um Rat gefragt wurde.

 

3      Dank

Franz Böckle ist Glarner geblieben, er suchte bei allen seinen Auf-enthalten in Glarus den Kontakt zu den Menschen, sei es mit einem Schwatz auf der Strasse oder durch den Besuch beim lokalen Rotary-Club. Sein Lebenskreis begann und endete in Glarus. Franz Böckle war dank seiner zurückhaltenden Art, seiner akademischer Verdienste und seines grossen gesellschaftlichen Engagements ein vorzüglicher Botschafter unserer Gemeinde. Dafür und für all seine Verdienste für Kirche, Stadt und Gesellschaft ziehe ich meinen Hut vor einer grossen Persönlichkeit.

 

Im Namen des Gemeinderates von Glarus bedanke ich mich bei allen beteiligten Institutionen und Personen, insbesondere aber beim geistigen Vater des heutigen Anlasses, Fridolin Hauser. Einen besonderen Dank richte ich an Fritz Marti-Imholz. Die Informationen aus den Gesprächen mit einem guten Bekannten von Franz Böckle verhalfen mir zu einem wertvollen Zu-gang zum Leben und Wirken des grossen Stadtglarners.

 

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Dr. iur. Stefan Müller, Näfels

Präsident des Kantonalen Katholischen Kirchenrates

 

Prof. Franz Böckle – ein Grosser Glarner

Würdigung anlässlich der Vernissage der Gedenkschrift vom 14. April 2012 im Landratssaal in Glarus 

 

Glarus als Ausgangspunkt

Alles hat in Glarus begonnen. Franz Böckle ist in Glarus am 18. April 1921, also vor ziemlich genau 91 Jahren, geboren und hier hat er seine Kindheit, seine Ju-gend und seine erste Schulzeit verbracht. Auch seine Primiz feierte er in Glarus.

Wie Prof. Böckle später selbst gesagt hat, hat sein Elternhaus ihn religiös ge-prägt, daneben aber auch das Simultaneum in der Stadt Glarus. Was genau war das Simultaneum? Das Land Glarus war seit der Reformation konfessionell ge-trennt und blieb doch, anders als etwa Appenzell, eine staatliche Einheit, was nicht ganz einfach war. Im Hauptort Glarus bestand zusätzlich eine ganz be-sondere Situation: Im Jahr 1564 hatten die evangelische Mehrheit und die katholische Minderheit ein gemeinsames Gebrauchsrecht an derselben Kirche

vereinbart, das wurde Simultaneum genannt. Auf der Basis der grundsätzlichen

Gleichberechtigung und zur Sicherung des konfessionellen Friedens hatte man zu einem Miteinander gefunden, das im übrigen ziemlich genau vierhundert Jahre (bis 1964) Bestand hatte.

 

Mit grosser Sicherheit wurde Prof. Böckle aber auch durch eine weitere Glarner Eigenheit beeinflusst: Vor über 600 Jahren hatten die Glarner sich definitiv ihre Freiheit von fremder Herrschaft erkämpft. Seither gibt es das freie Land Glarus, in dem die Versammlungsdemokratie der Landsgemeinde der zentrale Wert des öffentlichen Lebens ist. In Freiheit und unter Gleichen wird im Glarnerland seit mehr als einem halben Jahrtausend unter freiem Himmel beraten und be-schlossen. Was die Mehrheit beschliesst, das gilt. Gleichzeitig wird aber die Min-derheit geschützt und respektiert. Als Glarner wächst man ganz selbstverständ-lich damit auf und dadurch wird auch die Einstellung zu Obrigkeiten und Autorität

wesentlich mitgeprägt. So bleibt wenig Platz für Hierarchien und die Glarner We-

sensart tut sich schwer mit Gehorsam und gehorsam sein. Viel wichtiger ist, dass der enge und kleine Lebensraum gegenseitige Rücksicht, ein Miteinander ver-langt, ungeachtet was daneben noch Trennendes besteht. Dies ergibt eine ganz spezielle Kultur des Zusammenlebens, welche alle Glarnerinnen und Glarner prägt.

 

Ein grosser theologischer Denker

Franz Böckle hat das Glarnerland studien- und berufsbedingt verlassen. Auf verschiedenen Stationen seines Lebensweges hat er sich weiterent-wickelt. Nach seiner Priesterweihe war er zunächst Seelsorger in Zürich-Wollishofen. Er war dort nicht akademisch entrückt tätig, sondern er war nahe bei den Menschen und lernte sowohl ihre Sorgen und Nöte als auch die Grenzen der kirchlichen Morallehre kennen. Gleichzeitig setzte er sich im Rahmen eines ökumenischen Dialogs vertieft mit der moder-nen protestantischen Theologie auseinander. Anschliessend studierte er weiter in Rom, wo er zugleich zwei Jahre als Krankenhausseelsorger an der Clinica Quisisana tätig war. Nach eigenem Bekunden hat dies seine ganze wissenschaftliche Tätigkeit massgebend beeinflusst. Es war für ihn ein Schlüsselerlebnis, dass er mit schwierigen Fragen aus der täglichen ärztlichen Praxis konfrontiert wurde ohne dass er aus der kirchen-offiziellen Moral Antworten und Entscheidhilfen geben konnte. Dazu sag-te er selber: „Es war mir klar, Moral macht man nicht von oben. Sittliche Erkenntnis wächst aus dem Bemühen um eine umfassend menschliche

Antwort auf konkrete Herausforderungen des Lebens. Diesen Weg suchte ich fortan im Ganzen meiner moraltheologischen Arbeit zu gehen.  Damals wurde der Grundstein gelegt für jene Renovationsarbeiten am Ge-bäude der Moraltheologie, die ich zeitlebens verfolgte.“

 

Das anschliessende kurze Ergänzungsstudium in München führte immerhin zu einer Freundschaft mit einem gewissen Joseph Ratzinger, der im Jahre 1953 sogar in den Ferien in Glarus bei Franz Böckle weilte.

 

Von 1953 bis 1963 war Franz Böckle dann Professor für Moraltheologie in Chur sowie ab 1963 bis 1986 in Bonn, wo er auch zwei Jahre Rektor der Universität war. In Bonn wurde er dann endgültig zu einem wichtigen Moraltheologen der katholischen Kirche. Auch nach Beendigung seiner Lehrtätigkeit war er weiterhin ein gefragter und viel geehrter Berater und Experte, unter anderem für die deutsche Bischofskonferenz und für die deutsche Regierung.

 

Prof. Franz Böckle hatte durch sein weites Denken und Wirken eine grosse Wirkung. Er kämpfte für Freiheit und für die selbstverantwortliche Lebens-gestaltung aus dem eigenen Gewissen. Er wollte eine wahrhaft christliche, eine offene katholische Kirche, die sich dem heute fragenden Menschen stellt. Wo notwendig war er ein Querdenker und unerschrocken äusserte er seine Meinung. Die zeitbedingten ethischen Fragen hat er aufgegriffen, von Sexualität, über Geburtenkontrolle, Abtreibung, Ehescheidung, Fortpflanzungsmedizin, Umgang mit der Umwelt, Zölibat, Verantwortung in der Wissenschaft bis hin zum menschenwürdigen Sterben. Dabei stützte er sich auf seine Erkenntnis, dass die Moral, d.h. die sittlichen Grundsätze des Verhaltens, nicht von oben gemacht wird bzw. gemacht werden.

 

Er hat über 500 Schriften hinterlassen, darunter sein Hauptwerk „Funda-mentalmoral“, welches 1977 herauskam. Fundamentalmoral im Sinn von Franz Böckle ist nicht eine geschlossene Prinzipienlehre, nichts Autoritäres und Fundamentalistisches, das Unfehlbarkeit beansprucht und Gehorsam fordert. Seine Fundamentalmoral umfasst eine systematische Behandlung von ethischen Grundfragen, fernab von einem starren Dogmengebäude.

 

Es war ihm ein grosses Anliegen, dem päpstlichen und bischöflichen Lehramt zu zeigen, dass kirchliche Moralverkündigung nicht mehr auto-ritär erfolgen kann, wenn die Kirche gehört und ernst genommen werden will. Wer in der Kirche zum Hirten bestellt wird, soll durch die Dienste des Lehrens, des Heiligens und des Leitens das Volk Gottes weiden.

 

Lesen wir Franz Böckle, so besteht dieses Volk Gottes aus Menschen, die mit Vernunft und Gewissen ausgestattet sind und die von ihrem Schöpfer ermächtigt und verpflichtet sind, über sich selbst in Freiheit verantwortlich zu verfügen. Das Volk Gottes und seine Glieder sind also weit entfernt von einer Herde, die in blindem Gehorsam ihrem unfehlbaren Hirten auf dem von ihm autoritär vorgegebenen Weg zu folgen hat. Der gute Hirt achtet die Würde des Gewissens jedes Einzelnen. So gesehen dürfte die Ausgrenzung eines erheblichen Teils der Herde mittels Hirtenbrief sowie die anschliessende Verlautbarung in der Sonntagspresse, dass grössere Verluste von verirrten Schafen unvermeidlich sind, wohl nicht dem Ansatz von Franz Böckle entsprechen.

 

Prof. Böckle hat eine klare Haltung vertreten. Das zeigt z.B. die sog. „Kölner Erklärung vom 6.1.1989“, welche den Titel „Wider die Entmündigung – für eine offene Katholizität“ trägt und die er neben weiteren 220 katholischen Theologen unterzeichnet hat. Darin heisst es unter anderem: „Das Gewissen ist kein Erfüllungsgehilfe des päpstlichen Lehramtes… Das Lehramt ist vielmehr bei der Auslegung der Wahrheit auch auf die Gewissen der Gläubigen verwiesen. Die Spannung zwischen Lehre und Gewissen einzuebnen, bedeutet eine Entwürdigung des Gewissens.“ Und an anderer Stelle: „Die Kirche….ist keine belagerte Stadt, die ihre Bastionen auftürmt und mit Härte nach innen und aussen verteidigt.“

 

Was für einen Weg Franz Böckle gegangen ist, zeigt sich gut im Vergleich mit seinem Studienfreund und Zimmergenossen an der Uni München, mit Joseph Ratzinger: Aus Franz Böckle wurde ein hervorragender Wissenschafter, der sich um die fragenden Menschen in der konkreten Situation sorgte und die Freiheit zur selbstverantworteten Entscheidung aus dem Gewissen in den Vordergrund seines Wirkens stellte. Damit bezog er klar Stellung gegen ein autoritäres kirchliches Lehramt. Demgegenüber wurde aus Joseph Ratzinger ein hervorragender Wissenschafter, der stetig in der Kirchenhierarchie aufstieg, der ab 1981 bis 2005 als Präfekt der Glaubenskongregation sogar oberster Wächter und Hüter des kirchlichen Lehramtes war und der schliesslich als Benedikt XVI zum Papst gewählt wurde.

 

Franz Böckle hat die Papstwahl von Joseph Ratzinger nicht mehr erlebt, aber er hatte sich schon früher von ihm entfernt. Manchmal hatte er Angst, weil, wie er sagte, die kirchlichen Strukturen von menschlichen Machtgefühlen, Machtgelüsten und Intrigen durchzogen seien.

 

Und auf seinen früheren Studienkollegen gemünzt, sagte Prof. Böckle: „Wenn die Sprache nicht stimmt, dann ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist. Und ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist, dann kommen keine guten Werke zustande.“

 

Prof. Böckle war ein grosser theologischer Denker. Er musste sich nicht verstecken hinter kalten und starren Prinzipien, er stand und steht heute noch für eine Kirche, die sich den Fragen der Zeit, die sich den Fragen der Menschen stellt. Für eine Kirche, die glaubwürdig aus dem Evangelium lebt und wirkt, aber auch für eine Kirche, die sich um die Zeichen der Zeit kümmert und die in der Lage ist, den Glauben in jeder Zeit verständlich zu machen und ihn wirksam zur Geltung zu bringen.

 

Die beiden letzten Sätze aus seinem Hauptwerk „Fundamentalmoral“ bringen es auf den Punkt: „Entscheidend ist allein, dass die Kirche stets neu ihren Auftrag erkenne und lebe. So bleibt sie Zeichen der Hoffnung für die Welt.“

 

Glarus als Endpunkt

Auch wenn Prof. Böckle im Ausland gewirkt hat, ist er doch immer mit dem Glarnerland verbunden geblieben. Ob Fahrtspredigt in Näfels, Vorträge bei CVP oder Ärztegesellschaft oder was sonst noch. Er war nie ganz weg und ist immer wieder zurückgekommen.

 

Schliesslich ist er endgültig heimgekehrt. Im Frühling 1991 wurde bei ihm ein unheilbarer Lungenkrebs festgestellt und darauf hin hat er sich in seinen Heimatort Glarus zurückgezogen. Seine letzten Lebensmonate hat er hier verbracht. In seiner letzten Festpredigt in der Fridolinskirche in Glarus, 70 Tage vor seinem Tod, hat er noch die eindrucksvolle Aussage gemacht: „Ostern ohne Karfreitag ist eine Illusion! Karfreitag ohne Ostern eine Katastrophe!“

 

Am 8. Juli 1991, auf den Tag genau 46 Jahre nach seiner Primiz, hat sich sein Lebenskreis hier in Glarus geschlossen, wo er auch bestattet ist. Die Haltung des päpstlichen Lehramtes in den achtziger Jahren und zu Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts zu den Moralfragen in den Bereichen Sexualität, Ehe und Familie, welche nach wie vor autoritär verkündet wurden (und immer noch werden), hat Prof. Böckle gegen Ende seines Lebens zunehmend erbittert und ihn zu einem immer schärferen Kritiker der Kirchenhierarchie gemacht. Aber er hat die Kirche geliebt und wollte ihre Glaubwürdigkeit erhalten. Dabei wurde er selber von einem tiefen Glauben getragen, was sich zuletzt ganz deutlich in seiner Leidenszeit und im Angesicht des nahenden Todes zeigte. So starb er versöhnt und voller Hoffnung.

 

Prof. Franz Böckle war ein Glarner, er wurde in der Fremde ein grosser theologischer Denker, ein Grosser in seinem Fach und ist doch ein Glar-ner geblieben, wirklich: ein Grosser Glarner!

 

Mit all seinem Wirken und mit seinem Leben und Sterben hat Prof. Franz Böckle uns ganz viel hinterlassen. Auch 20 Jahre nach seinem Tod ist er heute aktueller denn je. Er gibt uns und der Kirche Hoffnung. Mit Menschen wie ihm dürfen wir die Hoffnung verbinden, dass die katholische Kirche immer wieder aufs Neue ihren Auftrag erkennt und lebt und so aus dem Glauben und gleichwohl in der Zeit auf die konkreten Herausforderungen des Lebens Antworten gibt.

 

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Gedenktafel an Elternhaus von Prof. Franz Böckle an der Reitbahnstrasse 22 in Glarus

 

In diesem Haus ist Franz Böckle aufgewachsen. Als Böckle ein Terrassen-haus am Sonnenhügel (früher "Galgenbüchel"), Sonnehügelstrasse 13, er-worben hatte, verkaufte er sein Vaterhaus an Fritz und Edith Marti-Imholz, Oberförster. Das Haus wurde weiter verkauft als Fritz und Edith Marti ihr neues Eigenheim im Haglen 4 bezogen.

In diesem Haus übernachtete der junge Josef Ratzinger, Studienkollege von Franz Böckle in München. Die beiden verbachten Ferien im Glarnerland, gingen ins Klöntal zum Wandern. Ratziger war der spätere Papst Benedikt XVI. 

Fritz Marti liess die Gedenktafel 2012 anbringen und stellte die Tafel bei der Vernissage der Gedenkschrift für Böckle im Landratssaal öffentlich vor.

 

Böckles Grab ist nicht mehr

Auf meine Rückfrage hin wurde mir  vom Einwohneramt Glarus freundlicherweise mitgeteilt, das das "Erdreihengrab Nr. 123" bereits im Frühling 2018 geräumt wurde.l

Inschrift:  ICH HABE DICH IN MEINE HAND GESCHRIEBEN

 

                PRIESTER

                FRANZ BÖCKLE

                1921 - 1991

 

 

(Foto: aus der Gedenkbroschüre 2012)

Josef Schwitter, Ratssekretär, Fahrtsbrieflektor und Bekannter von Franz Böckle liess den Grabstein seiner Eltern nach dem von Franz Böckle schaffen.

Grabstein von Dorfcoiffeur Josef Schwitter und Ehefrau Elsi auf dem Friedhof in Näfels auf Veranlassung ihres Sohnes Joser Schwitter Hau-ser nach dem Vorbild des Grabsteines von Franz Böckle. Die dunkle Farbe des Kreuzes ist infolge der Witterung verblasst.

 

Text:

 

JOSEF + ELSI

SCHWITTER-

FELDMANN

1910-1995

1912-2001

 

Der Grabstein ist seit einigen Jahren bereits wieder entfernt und ist bei Daniel Ledergerber, Bildhauer, Riedern, eingelagert

(Aufnahme: 14. April 2021)


Donnerstag, 8. April 2021 

 

Fahrtsrede 2021

 

von

 

Landesstatthalter Benjamin Mühlemann

 

Er hielt seine erste Fahrtsrede, und zwar in der St. Hilariuskirche Näfels. Usus- gemäss begrüsst entweder der Landammann oder der Landesstatthalter im Schneisigen die Fahrtsteilnehmer mit der Fahrtsrede. Diesmal wollte der Regierungsrat nicht wie letztes Jahr die "Näfelser Fahrt" absagen, sondern beschloss eine reduziertes Programm in der Kirche. Der Wortlaut seiner Rede ist von der Homepage www.gl.ch hierherkopiert und soll so "verewigt" werden.

 

Hochgeachtete Frau Landammann

Hochvertraute, liebe Mitlandleute

 

Freiheit und Frieden: das ist es, was unsere Näfelser Fahrt seit Jahrhunderten in allererster Linie symbolisiert.

Am heutigen Tag ist das nicht anders. Wie üblich gedenken wir unserer Vorfah-ren, die am 9. April 1388 in eklatanter Unterzahl dem feindlichen habsburgischen Heer gegenüberstanden – bei elenden Witterungsverhältnissen im Schnee- und Regentreiben im Kampf um ebendiese Freiheit. In der Aufopferung für Frieden und für Unabhängigkeit. Und doch haben die Begriffe Freiheit und Frieden am heutigen Tag eine noch etwas speziellere Bedeutung als meistens sonst. Weil eben doch sehr vieles anders ist, heute, im Jahr 2021:

 

Wie gerne würden wir uns in diesem Moment am Waldrand im Schneisigen ver-sammeln und darauf gemeinsam den andächtigen Klängen von Chor und Blas-musik lauschen. Wie gerne hätte ich Sie namens des Regierungsrats auf dem offenen Feld – direkt am Ort der damaligen Geschehnisse – zu diesem Ge-denkanlass begrüsst statt hier in der ehrwürdigen Hilariuskirche. Und wie gerne würden Sie zuhause, die sich per Videoübertragung zugeschaltet haben, mit vielen Gleichgesinnten entlang der Gedenksteine pilgern statt alleine und aus der Ferne eine gekappte Fahrt mitzuverfolgen.

 

Bereits zum zweiten Mal seit Beginn der Krise im letzten Frühling ist es uns heute leider verwehrt, an diesem frühen Donnerstag im April das Gewohnte zu tun. Ein unsichtbarer aber nicht minder aggressiver Feind hat uns diese Freiheit ge-nommen. Seit mehr als einem Jahr sorgt das Virus für viel Leid auf der ganzen Welt. So sind unsere Gedanken heute auch bei den Opfern der Pandemie und bei ihren Angehörigen. Gleichzeitig sorgen die Massnahmen, die zur Eindäm-mung der Pandemie getroffen worden sind, für erhebliche Einschränkungen in unserem Alltag. Jeder und jede von uns ist davon so direkt und persönlich be-troffen wie sonst kaum. Wir erleben für einmal alle hautnah, was es bedeutet, ge-wohnte Freiheiten hergeben zu müssen. Vor allem aber nehmen wir einiger-massen verblüfft zur Kenntnis, wie stark in einer solchen Krisensituation unsere Grundrechte in Konkurrenz zueinander stehen können. Dass nicht alles absolut und unbedingt gilt, wussten wir. Jetzt aber erfahren wir es heftig und schmerz-haft. Es existieren viele Ansichten oder Rezepte, wie wir rasch zu einem unge-zwungenen Leben zurückkehren könnten. Nur öffnen sich in der Bevölkerung tiefe Gräben zur Frage, wie weit der Staat gehen soll oder darf und wie lange er einschränkende Massnahmen aufrechterhalten muss. Viele lehnen den von der Exekutive eingeschlagenen Weg ab, zum Beispiel, weil sie ernsthaft um ihre wirt-schaftliche Existenz fürchten. Oder weil Sie das gesundheitliche Risiko weniger dramatisch einschätzen. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass sie eindringlich auf die Eigentumsgarantie pochen oder mit Nachdruck das Recht auf Bewe-gungsfreiheit einfordern. Anderseits wünschen sich viele Mitmenschen mehr Vorsicht aller im Alltagsleben und ein rigideres Durchgreifen der Behörden. Etwa aus Angst, selber schwer zu erkranken. Oder vielleicht, weil sie im Umfeld Ange-hörige verloren haben. Sie bestehen dann – und auch das ist legitim – auf der Pflicht des Staates, die physische Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Die Positionen könnten kaum unterschiedlicher sein. Weil die Notlage dermassen lange dauert, zehrt das andauernde Ringen um die richtige Strategie an unseren Kräften. Die Debatten verlaufen je länger, je hitziger. Und glaubt man den Pessi-misten, droht die gesellschaftliche Krise, die sich mittlerweile zweifelsohne ent-wickelt hat, langsam, aber sicher zu eskalieren.

 

In einem solchen Moment tun wir gut daran, uns die über Jahrhunderte geschärf-ten Werte in Erinnerung zu rufen, welche die Grundlage für unser friedvolles Zu-sammenleben bilden. Dazu gehört nicht bloss das Einstehen für Freiheit und Selbstbestimmung, so wie es die Glarner anno 1388 zusammen mit ihren Ver-bündeten auf dem Schlachtfeld taten. Dazu gehört auch das bei uns tief veran-kerte Prinzip der demokratischen Verständigung. Dazu gehören solidarisches Handeln und das Fördern des Gemeinsinns.

 

Das Gedächtnis an die kriegerischen Auseinandersetzungen von damals – die Näfelser Fahrt – kann uns ein gutes Muster sein: Der längst zur Tradition gewor-dene Ablauf, wie wir ihn jährlich begehen, ist bekanntermassen nichts anderes als das Resultat schmerzhafter innerglarnerischer Konflikte und Auseinander-setzungen. Es war ein zähes Ringen, bis man sich erst 1835 auf einen gemein-samen Ritus einigen konnte und damit den mittlerweile ältesten Erlass in der glarnerischen Rechtssammlung schuf. Vorher war sich die hiesige Bevölkerung uneins, weil sich während der Reformation unterschiedliche Auffassungen über die religiösen Formen der Fahrtsgestaltung entwickelt hatten. Während 180 Jah-ren begingen die Katholiken den Gedenktag allein, während ihm die reformierten Landsleute lange Zeit fernblieben.

 

Doch nicht nur das: Der ganze Kanton war ganz generell tief gespalten. Das Land Glarus war zweigeteilt in Evangelisch-Glarus und Katholisch-Glarus mit eigenen Räten, Gerichten und Landsgemeinden. Sogar das Militär- und das Postwesen waren getrennt. Klugen politischen Kräften und vor allem der Lands-gemeinde mit ihrer integrierenden Wirkung ist es zu verdanken, dass der langwierige Streit dann endlich ein Ende fand und die beiden Konfessionen wieder eine gemeinsame Fahrt organisierten – dass die Gräben in der Gesell-schaft nach und nach zugeschüttet werden konnten und die Wunden verheilten.

 

Wenn wir aktuell zunehmend mit unserem Schicksal hadern, darf uns dieser kurze Blick ins glarnerische Geschichtsbuch im Grunde genommen optimistisch stimmen. Es ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie unser Land in der Ver-gangenheit immer wieder von Krisen durchgeschüttelt wurde und von gesell-schaftlichen Spannungen erfasst war. In unterschiedlicher Ausprägung selbstver-ständlich und zugegebenermassen selten in einer Heftigkeit wie heute. Es ist aber ein sehr gutes Beispiel dafür, dass sich Krisen bezwingen und Gräben überwinden lassen, indem man sich zusammenrauft und Brücken schlägt.

 

Wenn wir uns also heute hier zusammenfinden, um der kriegerischen Schlacht von damals zu gedenken, dann nutzen wir diesen Tag auch, um uns auf den Wert der Glarner Gemeinschaft zu besinnen. Einer Gemeinschaft, die über Hunderte von Jahren immer wieder zusammengestanden ist, sich neu gefunden und be-währt hat. Diese Erkenntnis soll uns motivieren, unsere Energie nicht im ver-gifteten Disput zu verschwenden, sondern in den sachlichen Diskurs und vor allem in den konstruktiven Dialog zu investieren. Oder uf guät Glarnertüütsch: Zum zäme chänne gschiire, mömmer aaschtändig mitenand rede!

 

Hochvertraute, liebe Mitlandleute. Jene, die teils schwer vom Virus getroffen sind, und jene, die teils brutal von der Virus-Bekämpfung betroffen sind – ihnen allen ist gemeinsam, dass sie in erster Linie ihre Freiheitsrechte wollen. Betrachten wir doch diese Übereinstimmung als Gebot, jetzt nicht die Nerven zu verlieren und auch noch die letzten Meter dieses Marathon-Laufs miteinander zu absolvieren! Einerseits ist dank des medizinischen Fortschritts Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Das darf uns also zuversichtlich stimmen. Andererseits wissen wir aus der Geschichte, dass die Schweizerinnen und Schweizer einen Staat wollen, der sich dort wieder zurückzieht, wo er nicht mehr gebraucht wird. Wir können also auch darauf vertrauen, dass die allermeisten Einschränkungen bald der Vergangenheit angehören. Ich persönlich bin jedenfalls überzeugt, dass nächstes Jahr wieder eine stattliche Fahrts-Prozession zum Schlachtdenkmal marschiert. Wie gerne werden wir dort wie gewohnt gemeinsam unsere Landeshymne intonieren – in der Gewissheit und im Bewusstsein, dass wir wieder Freiheit und Frieden gefunden haben. In diesem Sinn bitte ich für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes. 


Donnerstag, 8. April 2021

 

Fahrtspredigt 2021

 

von

 

Stiftspropst Harald Eichhorn, Beromünster

vorher Pfarrer und Dekan in Näfels

 

Der ehemalige Näfelser Pfarrer und Dekan des Kantons Glarus, heute Propst im Chorher-renstift in Beromünster, wurde als Fahrtsprediger eingeladen. Sein Fahrtspredigt hat er mir freundlicherweise zugestellt und die Veröffentlichung auf meiner Homepage bewilligt.

 

Hochgeachtete Frau Landamann,

geschätzte Herren Regierungsräte und alle Vertreter und Vertreterinnen der staatlichen und kirchlichen Behörden,

liebe Glarnerinnen und Glarner, liebe Gäste

 

Ich hatte mich so sehr auf die letztjährige Fahrt gefreut, als würdiger Ab-schluss meiner Zeit hier als Pfarrer und Dekan – die Pandemie machte mir aber einen dicken Strich durch die Rechnung. Deswegen freue ich mich heute, dass ich hier sein darf bei dieser – ebenso pandemiebedingten - Fahrt light. Ich danke der Regierung und allen Verantwortlichen, dass sie die Initiative er-griffen haben, damit die Fahrt nicht wieder ganz ausfällt. Hoffen wir, dass wir nächstes Jahr wieder das grossartige Gesamtwerk Fahrt mit allen Teilen be-gehen können.

 

Vom ersten Moment als Pfarrer von Näfels war ich von der Fahrt begeistert. Obwohl an ein Ereignis erinnert wird, das vor vielen Jahrhunderten stattge-funden hat: die Schlacht bei Näfels anno 1388. Wir haben vorhin die ganze Geschichte im altertümlichen Deutsch beim Verlesen des Fahrtbriefes gehört. Es ist doch fast ein Wunder und grosses Glück, dass dieser ursprüngliche Brauch des Totengedenkens die Zeiten und viele Wirren überdauert hat und für das Glarner Gemeinwesen bis heute ein wichtiger Impuls im Jahreslauf darstellt.

 

Wer die Lage der Schweiz im Allgemeinen und des Kanton Glarus im Spe-ziellen nüchtern betrachtet, der wird feststellen, dass – trotz Pandemie - vieles gut funktioniert und die Menschen hier ein gutes Leben führen können – wenn das auch längst nicht alle so positiv auffassen. Der heutige Fahrtstag gibt uns Grund und Gelegenheit zum Nachdenken und genauso wichtig: zur Dankbar-keit.

 

Die Geschichte hat uns gezeigt, dass Systeme, die ganz auf sich selbst ver-trauen und Gott ausblenden, zum Scheitern verurteilt sind. Wo Menschen ihre Hoffnung allein auf den Menschen setzen, da geschieht sehr schnell Überfor-derung. Eine wichtige Tatsache gerade auch im Hinblick auf die Absichten zur Streichung des Namens Gottes aus der Bundesverfassung.

 

Der Mensch ist Teil von Gottes guter Schöpfung. Für Christen ist der Mensch eben kein Produkt des Zufalls, keine Laune der Natur. Er ist von Gott gewollt, geschaffen und geliebt. Der Mensch ist nicht nur in die Welt geworfen, er ist für die Ewigkeit bestimmt. Alle politischen und gesellschaftlichen Systeme, die das negieren, die mit menschenverachtender Gottlosigkeit ihre Macht erhalten wollten, sind letztlich gescheitert.

 

Weil gelingende Gemeinschaft nach christlicher Auffassung immer auch in Gott begründet ist, gibt es Kriterien, wie die Gemeinschaft zu gestalten und zu leben ist. Es darf nie nur um den Nutzen für den Einzelnen gehen, das Ge-meinwohl muss im Auge behalten werden. Damit das gelingen kann gibt es das sogenannte Subsidiaritätsprinzip. Kurz gesagt bedeutet das: «Soviel Frei-heit wie möglich, soviel Hilfe wie nötig.» Jede und jeder soll tun, was er oder sie vermag, wo man als Einzelne aber nicht mehr weiterkommt, da muss ge-holfen werden. Ein Prinzip das sicherlich auch in der gegenwärtigen Situation der Pandemie seine Gültigkeit hat. Dieses Prinzip ist weit entfernt von staatlicher Regulierungssucht oder einer kommunistischen Versorgungsmen-talität und lehnt auch einen menschenverachtenden Kapitalismus ab, der kein Mitgefühl und keine Sorge um den Nächsten mehr kennt.

 

Beim Rückblick auf die Geschichte sollte gerade auch hier im Glarnerland Dankbarkeit nicht fehlen – in einem Kanton, der oft aus der Not eine Tugend machte und damit zu vielen Problemen innovative Lösungen gefunden hat. Angefangen bei der Verteidigung der Freiheit bei der Schlacht von Näfels, über die speziellen Abmachungen im Konfessionsstreit des 16. Jahrhunderts, die eine Kantonsteilung verhinderten, bis hin zu den sozialen Errungenschaf-ten im 19. Jahrhundert. Um nur einiges zu nennen.

 

Auch wenn nicht alles perfekt sein mag, auch wenn der Einzelne vielleicht noch nicht am Ziel seiner irdischen Träume angekommen ist, es ist viel ge-schehen, für das Dankbarkeit angebracht ist. Wer dankbar ist, der weiss zu schätzen, was erreicht wurde. «Dankbarkeit ist das Erinnerungsvermögen des Herzens», heisst es in einem Sprichwort.

 

An einem Tag wie heute Dankbarkeit zu Empfinden hat nichts mit übersteiger-tem Heimatgefühl zu tun. Wer sich daran erinnert, dass die Grundlage unseres Staatswesens ein Freiheitskampf war, der dieses Land frei und unabhängig liess und damit die Grundlage für die einzigartige Entwicklung legte, der darf dankbar diese Näfelser Fahrt begehen. Wer sich zurückerinnert, der weiss, dass diese Freiheit auch eine christliche Prägung hat – wir haben es im Fahrtsbrief deutlich gehört und das Wappen des Glarnerlandes mit dem hei-ligen Fridolin bezeugt dies zusätzlich. Auch wenn nicht jede und jeder glück-lich sein mag, auch wenn es Schwierigkeiten gibt, die noch bewältigt werden müssen, vieles ist getan und dafür dürfen wir dankbar sein.

 

Was für den Staat und die Gesellschaft gilt, das hat auch in kleineren Gemein-schaften Berechtigung. Auch in unseren Gemeinden, unseren Dörfern und Fa-milien muss unser Miteinander von dem Bewusstsein getragen sein, dass der Mensch von Gott geschaffen und zur Ewigkeit berufen ist. Diesem auser-wählten Geschöpf Gottes gilt es mit Respekt und Achtung zu begegnen, un-abhängig von seinem Alter, seiner Herkunft, seinem Geschlecht, seiner Reli-gion und seinem Leistungsvermögen. Eine Gemeinschaft, die das berück-sichtigt und die weiss, dass sie nicht alles von sich selbst erwarten muss, sondern auf Gott vertrauen darf, kann gelingen.

 

Wir dürfen uns heute ruhig wieder einmal bewusst machen, dass Gott der Herr des Lebens ist und dass er uns einlädt, gemeinsam mit unseren Mitbürger-innen und Mitbürgern an der Zukunft zu bauen; einer Zukunft, die christlicher Werte und Hoffnung auf den Beistand Gottes bedarf; einer Zukunft, die getra-gen sein sollte von Achtung und Respekt voreinander und dem Willen, einan-der und die Gemeinschaft zu fördern, wo es notwendig ist.

 

Eine solche Grundeinstellung kann man nicht erzwingen, nicht mit Gesetzen verordnen, sie muss aus dem Herzen kommen, muss vom Einzelnen bejaht und gewollt sein. Für den gläubigen Menschen ist es zudem klar, dass dafür der Machtschutz Gottes angerufen werden muss. Wir tun dies hier in diesem Gottesdienst.

 

Ich wünsche allen Bewohnerinnen und Bewohnern des Glarnerlandes diesen Segen Gottes und ein gutes Miteinander für eine gemeinsame, positive Zu-kunft. Ich danke allen von Herzen, die sich ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen bewusst sind und sich engagieren, einlassen und aussetzen zum Wohl ihrer Mitmenschen.

Gott schütze das Glarnerland!

 

Amen.

Zurück im Dorf, wo er segensreich gewirkt hat, im Kanton, in dem er als Dekan vollen Einsatz zeigte, am Ambo, an dem er so oft gepredigt hat, da füllte er mit seiner Fahrtspredigt den Raum und die Herzen im Zeichen der Dankbarkeit.

Harald Eichhorn, emeritierter, residierender Domherr von Chur, ist seit August 2020 Propst des Chorherrenstifts Beromünster. Seine Fahrtspredigt sei hier "ver-ewigt".


Mittwoch, 7. April 2021

 

Näfelser Fahrt... in der Hilariuskirche 

 

Die letzten Vorbereitungen

 

Wegen der Corona-Pandemie findet das ganze "Fahrtsprogramm" in der Hilarius-kirche statt. Neben Geistlichkeit, Regierung und dem Gesangsquartett sind nur 50 Fahrtsteilnehmerinnen und Fahrtsteilnehmer zugelassen, die sich auf der Ratskanzlei um einen Sitzplatz bewerben mussten.

Gestrichen sind die Prozession, der Begrüssungsakt im Schneisingen und die Lesung des Fahrtsbriefes und die Fahrtspredigt, der Fahnenakt beim Denkmal und die Kilbi sowie die Orchestermesse mit dem Gesamtchor. 

Auf dem Turm flattern die Schweizer- und Glarnerfahne, sowie das Banner mit den päpst-

lichen Farben gelb/weiss.

Die Kirchenfahnen und Vortragekreuze der Kilchhörenen umsäumen die Bankreihen, hier auf der "Männerseite".

Blick auf die "Frauenseite".

Für die Fernseh-Live-Übertragung von 10 bis 12 Uhr werden Kameras, Mikrophone und Verkabelungen eingerichtet.

Kamera bereit!

Am Mischpult wird entschieden, was in den Äther hinaus in die Stuben gesendet werden wird.

Vorzeichen auf eine Schlechtwetter-Fahrt. Gestern und heute schneite es bis ins Dorf.


Dienstag, 6. April 2021

 

Theologe und Professor Hans Küng ist gestorben

 

Gemäss verschiedenster Medienmeldungen ist heute Prof. Dr. theol. Hans Küng in seinem Haus in Tübingen D gestorben. Ein Beitrag über seine Leben und Wir-ken soll in dieser Rubrik bald erschienen. Hans Küng lebte vom 19. März 1928 bis heute 6. April 2021.

 

Kurzporträt aus Wikipedia:

 

"Hans Küng (* 19. März 1928 in Sursee, Kanton Luzern) ist ein Schweizer Theo-loge, römisch-katholischer Priester und Autor. Von 1960 bis zu seiner Emeritie-rung im Jahr 1996 war er Theologie-Professor an der Eberhard Karls Universität im südwestdeutschen Tübingen, zuletzt für Ökumenische Theologie.

 

Bis März 2013 war er Präsident der von ihm mitgegründeten Stiftung Weltethos. Küng gilt nicht nur im deutschsprachigen Raum als einer der bekanntesten Kir-chenkritiker unter den akademisch herausragenden katholischen Theologen der Zeitgeschichte. Insbesondere seine Kritik am Dogma der päpstlichen Unfehlbar-keit führte ein Jahr nach der Veröffentlichung seines vielbeachteten Buches "Existiert Gott? Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit" im Jahr 1979 aufgrund eines von Papst Johannes Paul II. gebilligten Erlasses der Glaubenskongregation zum Entzug seiner kirchlichen Lehrbefugnis für die römisch-katholische Glau-benslehre durch die Deutsche Bischofskonferenz."

 

Quelle: hppts://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Küng

 

Gerne erinnere ich an seine kurze Hommage für Prof. Dr. theol. Dr. med. h.c. Franz Böckle, Glarus/Bonn, die ich in der Schrift für Böckles 20. Todestag anno 2011 veröffentlichen durfte.

Diese Würdigung aus Küngs Feder sei hier aufgeführt:

 

Ein fünffaches Lob für Franz Böckle

 

Hans Küng

 

Franz Böckle ein liebenswürdiger Mensch.

Den um sieben Jahre Älteren lernte ich auf einer Sonnenterrasse des römischen Collegium Germanicum in den frühen 1950er-Jahren kennen, als er an einem schönen Sonntag Nachmittag in die »Rekreation« von uns Schweizer Germani-kern kam. Er im schwarzen Talar unter uns Rot-Gewandeten, doch ein Mann, der Heiterkeit und Wohlwollen ausstrahlte und der rasch meine Sympathie gewann.

 

Franz Böckle ein scharfsinniger Theologe.

Als erster hat er mir, am Ende der 1950er-Jahre während meiner Zeit als Vikar an der Hofkirche von Luzern, den Unterschied deutlich gemacht zwischen Ehelosig­keit als Charisma (als freier Berufung zu einem besonderen Dienst) und ande-rerseits als Gesetz (als vorgeschriebene, unter Umständen mit Sanktionen be-legte Verpflich­tung). Er machte mir klar: Die Kirchenleitung hat kein Recht, aus dem Charisma (»Wer es fassen kann, der fasse es!« Mt 19,12) ein Gesetz für den gesamten Klerus zu machen (»Auch wer es nicht fassen kann, der muss es fassen!«).

 

Franz Böckle ein würdiger Repräsentant der Schweiz in Deutschland.

Drei Jahre nach der Berufung von Herbert Haag und mir an die Universität Tü-bingen wurde er 1963 an die Universität Bonn berufen. In unserer Heimat war man über die »Wegberufung unserer Schweizer Theologen« nur halb erfreut. Das »Vaterland«, damals »Zentralorgan der Schweizer Katholiken«, schrieb: Franz Böckle, Herbert Haag, Hans Küng – »das sind drei Theologen von bestem Ruf. Weltaufgeschlossen, dynamisch, gründlich in ihren Fachkenntnissen … Es ist gewiss eine Freude und eine Ehre für die kleine Schweiz … Aber andererseits erfüllt uns ein Gefühl der Wehmut und des Bedauerns, daß unsere besten Theo-logen ins Ausland abwandern müssen« (26.4.1963). Wahrhaftig, ohne die drei Eidgenossen wäre die theologische Großwetterlage in der Bundesrepublik Deutschland oft etwas allzu windstill und langweilig geblieben.

 

Franz Böckle ein führender katholischer Moraltheologe.

Schon früh hat er in Sachen Geburtenregelung mutig öffentlich Stellung bezogen. Mir hat er damals deutlich gemacht, bis zur Nidation sei dies ohnehin kein Pro-blem. Intensiv arbeitete er mit Ärzten zusammen, hat sich wie kein zweiter der Thematik Sexualität, Ehe, Familie und der medizinischen Ethik angenommen und wurde deshalb von Fachkollegen ebenso bekämpft wie bewundert. Sein Dr. med. h.c. war schwer verdient.

 

Franz Böckle ein tapferer Reformer.

1972 gehörte er zu den 33 prominenten Theologen, die den Aufruf »Wider die Resignation« unterschrieben, der schon vor 40 Jahren eine vielschichtige Füh-rungs- und Vertrauenskrise in der Kirche feststellte. In der Synode der deutschen Bistümer in Würzburg amtete der Moraltheologe als einflussreicher Präsident der zuständigen Kommission und versuchte angesichts des Widerstands der Bi-schöfe so gut wie möglich seine Anliegen durchzusetzen. Doch ärgerte er sich oft masslos über die hierarchische Widerständigkeit gegen Reformen und bemerkte mir gegenüber, er verfüge über klare Beweise, dass der Präsident der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Joseph Höffner, ein Lügner sei, was meine eigenen Erfahrungen bestätigte.

 

Und nun ist unser lieber Franz Böckle schon zwanzig Jahre tot. Was würde er wohl heute zum Zustand der Kirche sagen? Wie oft vermisse ich doch meine alten theologischen Freunde Franz Böckle und Herbert Haag. Fast ist man ver-sucht zu sagen: »Die alten Bücher noch, die alten Schlachten noch, die alten Freunde aber sind dahin!« Gott sei’s geklagt, dass oft die Falschen allzu früh sterben müssen. Aber Gott sei’s gedankt, dass ihr Vorbild uns noch leuchtet wie eh und je.

  

 

Tübingen, 13. April 2011                                                               Hans Küng


Samstag, 3. April 2018

 

Wird ein Glarner im Rom selig oder heilig gesprochen?

 

Bisher wurde noch nie ein gebürtiger Glarner oder eine gebürtige Glarnerin heilig- oder seliggesprochen. Das könnte sich möglicherweise in Bälde ändern. Denn anfangs Juli letzten Jahres wurden vom Churer Bischofsadministrator Peter Bürcher, Chur, in Zürich zehn grosse Schachteln versiegelt mit 13000 Seiten Do-kumentation, Gesamtgewicht 130 Kilogramm, adressiert an die vatikanische Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen.

 

Sein Vorvorgänger Bischof Amédée Grab hatte nämlich vor rund 20 Jahren das Erhebungsverfahren eröffnet, um über den Linthaler Bürger Toni Zweifel (1938-1989) Informationen zu sammeln für eine eventuelle spätere Seligsprechung. Alle auffindbaren Korrespondenzen, Angaben über sein Leben und Wirken aus allen möglichen Archiv-quellen wurden zusammengetragen.

 

2005 erteilte die erwähnte Kongregation die Erlaubnis, mit der Befragung von Zeugen zu beginnen. Seit September 2020 ist diese Kongregation im Besitz des umfangreichen Dokumentationsmaterials. Sie prüft dessen Qualität und kann dann offiziell die zweite Phase des Verfahrens eröffnen. Hier wird geprüft, ob Toni Zweifel «sich in allen christlichen Tugenden bewährt hat». Zur Seligsprechung ist allerdings auch noch der Nachweis eines Wunders auf seine Fürsprache hin er-forderlich. Für eine Heiligsprechung wäre noch ein zweites Wunder Voraus-setzung. Bisher konnte aber noch keine unerklärliche Gegebenheit einwandfrei auf einen Hilferuf an Toni Zweifel zurückgeführt werden. Bis dies erbracht ist, dürfte es wohl noch Jahre dauern.

 

Wer war Toni Zweifel?

Er entstammt einer Unternehmerfamilie. Sein Grossvater Federico Zweifel, gebo-ren 1878, verliess kurz nach seiner Lehre als Textiler seine Glarner Heimat und fand im norditalienischen Capriolo eine Anstellung in der Textilbranche. Er brach-te die kriselnde Manufaktur zu neuer Blüte. 1924 gründete er bei Verona eine eigene Firma, eine automatische Stickerei. 1948 übernahm Giusto Zweifel, Tonis Vater, das Unternehmen und gründete weitere Firmen, auch solche in der Schweiz.

 

Während des Zweiten Weltkrieges weilte Toni mit seiner Mutter längere Zeit im Glarnerland, teiweise in Ennenda, längere Zeit in Schwanden, wo heute noch Verwandwe leben. Sein Studium als Maschineningenieur absolvierte er an der ETH Zürich. Gegen Ende des Studiums lernte er Mitstudenten kennen, die dem Opus Dei angehörten. Nach dem Kennenlernen schloss er sich dann auch selber die-ser Einrichtung der katholischen Kirche an. Nach Studienabschluss war Zweifel in der Privatwirtschaft tätig, kehrte aber 1964 an die ETH als wissen-schaftlicher Mitarbeiter am Institut für Thermodynamik zurück. Zwei Jahre später übernahm er die Leitung des Studentenheims. Dort organisierte er u.a. Ein-führungskurse für zukünftige Studenten der beiden Zürcher Hochschulen. Ab 1972 leitete er die neu gegründete Zürcher Limmat Stiftung. In den 17 Jahren bis zu seinem Tod unter-stützte diese Stiftung hunderte von Bildungs- und Sozial-projekten in über 30 Ländern auf vier Kontinenten.

 

1986 erkrankte Toni Zweifel an Leukämie und starb nach dreijähriger Leidenszeit am 24. November 1989. Viele, die ihn gekannt hatten, waren und sind über-zeugt, dass er ein vorbildliches christliches Leben geführt hatte. Aus diesem Grund bat das Opus Dei die Kirche, diese Urteile in einem Seligsprechungspro-zess zu prüfen.

 

 

2017 ist seine Biografie erschienen: Augustin L. Kindler: Toni Zweifel, Geheiligter Alltag, Adamas Verlag, Köln. ISBN 978 3 937626 36 9, 200 Seiten. Das Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt.  

 

 

 

 

2017 ist seine Biografie erschienen:

Augustin L. Kindler: Toni Zweifel, Geheiligter Alltag,

Adamusverlag, Köln.

ISBN 978 3 937626 36 9.

200 Seiten.

Das Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt.

 

(Bild: Toni Zweifel, vom Cover dieses Buches)

 

 

Siehe auch:

"Glarner Nachrichten", Südostschweiz-Glarus, Nr. 86, 15. April. Frontpa-ge und Seite 3


Karfreitag, 2. April 2021

 

"Die Kuh erkennt man am Geweih..."

 

Interview mit der Kuh Esmeralda

 

Die Kuh Esmeralda dürfte mittlerweile verstorben sein; denn das Interview mit ihr fand (fiktiv) im Sommer 1979 statt und wurde in "Dr ghülpet Bott, Sulzbodäziitig" am 1. August auf den Seiten 10ff publiziert. Stellvertretend für sie habe ich eine Vertreterin ihrer Gattung, ein Rind,  zwar ohne Hörner, auf der Sändlenwiese vor dem historischen Schlachtdenkmal, links dem Idaheim (General Bachmann-Haus), Altersheim und rechts den Alterswohnungen geknipst. Satte 42 Jahre sind es her. Dennoch sind gewisse Umstände heute noch gültig.


Montag, 29. März 2021

 

Woher der Name "Hostess" kommt...

 

Dieser Tage strahlte der Radiosender "Musikwelle" mehrere Sendungen aus Anlass "Vor 90 Jahren wurde die Swissair gegründet" aus. Als ehemaliger Swissair-Instruktor stiegen ungezählte Erinnerungen an die faszinierende und spannende Zeit bei der schweizerischen Fluggesellschaft auf. Eine sei hier - mit Heiterkeit - fesgehalten.

Als Albrecht Dürer diesen Stich schuf, gab es noch keine Hostessen. Dennoch hat der Name "Hostess" im Paradies seinen Ursprung, ... so behaupte ich.

     

Wie die Hostessen zu ihrem Namen kamen?

 

Kleine Hommage

an die Flight Attendants

nach Abschluss ihrer Umschulung

auf den Jumbo Jet B 747  (1971)

 

(Ich hatte die tolle Aufgabe, einen Tag des achttägigen Kurses mit dem Thema «Massentourismus/Massenpsychologie» zu leiten, insgesamt 27 Tagesseminare (rund 800-850 F/A). Am letzten Seminartag überreichten mir die Mitinstruktoren und Flight Attendants eine Urkunde «Jumbo Fritz humoris causa». Als kleine Gegengeste schrieb ich die folgende Glosse.)

 

Als der liebe Gott Adam und Eva erschaffen hatte, setzte er sich auf eine Wolke und beobachtete die beiden im Paradies.

Dabei fiel ihm auf, wie aufgeweckt und ideenreich Eva immer wieder Neues kreierte. Besonders einfallsreich war sie kulinarisch. Am Eingang zu ihrer Höhle hatte sie einen ausgehöhlten Stein, in dem sie Fleisch vor den Füchsen schützte und mit einer Steinplatte zudeckte.

 

Beim Abheben der gewichtigen Steinplatte entfuhr ihr immer ein Seufzer: «Stiuu!». Künftig nannte sie das Stück Fleisch «Stew». Dabei rief sie bei der Feuerstelle: «Es werde ein Stew!» Als dieses prächtig gelang, rannte sie voller Freude aus der Höhle und rief Adam begeistert zu: «Ein Stew ward! Ein Stew ward!». Doch sie stolperte über eine Wurzel und das zubereitete Fleisch flog in hohem Bogen durch die Luft und landete bei Adam, der gerade unter einem Affenbrotbaum meditierte und frohlockte, direkt vor den Füssen. Er hob es auf und schnupperte daran, biss hinein und rief zurück. «Ein Stew war des?!» Hoch erfreut bereitete Eva weitere Stews zu. Doch als das Fleisch etwas feiner war, wurde Adam der Unterschied zwischen weiblich und männlich gewahr. War es zarter, fragte Adam zurück: «Was, eine Stew war des?» Da wurde Eva eifersüchtig und warf Adam ungehalten ein weiteres Stück vor die Füsse und schnauzte ihn, da sie inzwischen noch bayerisch gelernt hatte, an: «Do host des!!!»

Und seither weiss man, dass Hostess nichts anders heisst als durch die Luft fliegendes Schmorfleisch!»

 

Diese kleine Geschichte kam so gut an, dass sie mit Karikaturen versehen, in der «Kapers», dem Organ des Kabinenpersonals, erschien.

Swissair-Plakat
Swissair-Plakat

Montag, 15. März 2021

Was aus der Interpellation Laupper/Tschudi wurde...

Geistlichkeit und Kreuz und Fahnen beim vierten Gedenkstein. Normalfall!

Geistlichkeit nach dem Überwinden der Steinrisi im Hintergrund. Der Gedenkstein ist vorher durch Polizei und Fachpersonal von Ästen und Kompost befreit worden.

Zuerst Grasabfälle, das Tannenchris und Astwerk.

Räumungsarbeit mit einer Greifschaufel

 

 Montag, 15. März 2021

 

Fahrtsweg Näfelser Fahrt:

 

Regierungsrat ruft zu Gelassenheit auf

 

Die Näfelser Fahrt soll nicht durch einen Störenfried beeinträchtigt werden. Der Regierungsrat beantwortet eine Interpellation dazu.

 

 

Die Interpellation «Freie Fahrt auf dem Fahrtsweg» der Landräte Martin Laupper (FDP) und Thomas Tschudi (SVP) von Ende 2020 befasst sich mit Störungen im Vorfeld der Näfelser Fahrtsfeier. Dem Vorstoss zugrunde liegt ein Konflikt zwi-schen einem Grundeigentümer und der öffentlichen Hand über das Begehungs-recht eines Grundstücks, auf dem sich ein Gedenkstein befindet. Der Bewohner versucht das Begehen des Fahrtsweges auf seinem Grundstück zu verhindern.

 

In seiner Beantwortung weist der Regierungsrat auf die rechtlichen Grundlagen für die Durchführung der Näfelser Fahrt und die Sicherung des Fahrtsweges hin. Das Gesetz betreffend die Feier der Näfelser Fahrt aus dem Jahr 1835 ist das älteste noch gültige Gesetz des Kantons Glarus. Es regelt die Grundzüge für die Durchführung der Näfelser Fahrt.

 

Gemeinderat für Fahrtsweg zuständig

Der Fahrtsweg ist Bestandteil des Landesfussweges und wird im Strassengesetz geregelt. Demnach steht der Fahrtsweg unter der unmittelbaren Aufsicht des zuständigen Gemeinderats. Dieser ist dafür besorgt, dass er nicht ohne Ein-willigung des Gemeinderates verlegt oder verändert wird. Der Unterhalt lastet auf den Anstössern, soweit nicht Verträge oder bisherige Übung etwas anderes be-stimmen. Für den Fahrtsweg selber besteht ein ganzjähriges gesetzliches Weg-recht im Sinne einer öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkung. Sachen-rechtlich bilden die Gedenksteine Bestandteile des Grundstücks, auf dem sie liegen. Der Grundstückeigentümer hat die Gedenksteine auf eigene Kosten zu unterhalten.

 

Organisation der Näfelser Fahrt ist eine Verbundaufgabe

Für die Organisation der Näfelser Fahrt ist der Kanton Glarus, für die Sicherung und den Unterhalt des Fahrtweges die Gemeinde Glarus Nord verantwortlich. Die Sicherung des Fahrtsweges stellt eine Daueraufgabe dar. So mussten schon früher Lösungen im Raum Altweg/Risi und Gerbi/Unterdorf gefunden werden. In jüngerer Zeit musste der Zugang zum Schlachtdenkmal beim Durchgang Überbau-ung Letz/Sändlen gesichert werden. Die baulichen Vorbereitungs-arbeiten auf dem Fahrtsplatz in Schneisigen, beim Schlachtdenkmal und die Wege dazwischen verursachen Kosten von jährlich rund 16 200 Franken. Total kostet die Fahrtsfeier rund 55 000 Franken (Kosten 2019). Die Vorbereitungs-arbeiten werden jeweils durch das Departement Bau und Umwelt in Zusammen-arbeit mit der Gemeinde Glarus Nord geleistet.

 

Situation im Altwegquartier

Der Regierungsrat bedauert, dass sich der von den Interpellanten genannte Grundeigentümer im Altwegquartier wenig kooperativ verhält. So versuchte er durch Anordnung eines richterlichen Verbots in den Jahren 2016 und 2017, das Begehen des Fahrtsweges zu verhindern. Mit Entscheid des Kantonsgerichts vom 23. Juni 2017 wurde das Bestehen der öffentlich-rechtlichen Eigentumsbe-schränkung für den Fahrtsweg auf diesem Grundstück bestätigt. Aufgrund des Strassengesetzes dürfen Prozessionsteilnehmende das Grundstück aber betre-ten. Seither bedeckt der Eigentümer den Gedenkstein mit Ästen und Abfall. Die Gemeinde Glarus Nord, unterstützt durch die Kantonspolizei, legt ihn jeweils am Vortag der Fahrt frei und setzt ihn instand.

 

Im November 2019 fand eine Besprechung zwischen Vertretern des Kantons Glarus und der Gemeinde Glarus Nord statt. Dabei wurden verschiedene Lö-sungsmöglichleiten diskutiert. Zur Diskussion stand auch eine Verlegung des Ge-denksteins an den Strassenrand, ohne jedoch den Fahrtsweg selbst zu verlegen. Zu einer folgenden Besprechung ist der Liegenschaftsbesitzer nicht erschienen. Er möchte verschiedene Anstände, welche er mit der Gemeinde Glarus Nord hat, mit der Frage des Fahrtsweges verknüpfen.

 

Beantwortung der Fragen

Wie ist das weitere Vorgehen in diesem Fall?

Der Gedenkstein ist erneut schändich und provokativ zudeckt und muss voraussichtlich für die ordnungsgemässe Durchführung der nächstjährigen Fahrtsfeier von der Gemeinde respektive dem Kanton aufwändig in Ord-nung gestellt werden.

 

Regierungsrat: Es ist absehbar, dass die Näfelser Fahrt 2021 leider wiederum nicht in der gewohnten Form durchgeführt werden kann (Medienmitteilung vom 10. März 2021). Daher stellen sich auch dieses Jahr diese Fragen nicht akut. Die Gemeinde Glarus Nord und der Kanton werden weiterhin das Gespräch mit dem Liegenschaftseigentümer suchen, um eine für beide Seiten befriedigende Lösung zu finden. Falls dies nicht gelingt, werden Gemeinde und Kanton die Rechte am Fahrtsweg wie bisher durchsetzen und den Gedenkstein freilegen, ihn instand setzen und den Zugang zum Fahrtsweg sicherstellen.

 

Wer hat die bis jetzt aufgelaufenen Kosten für das jährliche Polizeiaufgebot und die Säuberungsaktionen getragen und auf welche Höhe sind diese Kosten in den letzten Jahren angewachsen?

 

Regierungsrat: Die Kosten für die Kantonspolizei wurden bisher nicht separat erhoben und in Rechnung gestellt. Die Kantonspolizei erachtet dies aktuell als zu ihrem allgemeinen polizeilichen Schutz- und Sicherungsauftrag gehörend. Die Kosten der Gemeinde Glarus Nord wurden ebenfalls nicht separat erhoben und gingen im allgemeinen Aufwand für die Vorbereitung der Fahrsfeier auf. Sie wur-den bisher von der Gemeinde getragen.

 

Teilt der Regierungsrat die Meinung, dass diese Kosten nicht von der Allge-meinheit zu tragen sind?

 

Regierungsrat: Der Regierungsrat teilt diese Meinung im Grundsatz. Allerdings hat die Öffentlichkeit auch anderweitig Kosten zu tragen, die auf unvernünftiges und wenig rücksichtsvolles Verhalten durch private Personen zurückzuführen sind. Der Regierungsrat und die Gemeinde behalten sich jedoch vor, diese Ko-sten künftig geltend zu machen.

 

Wie gedenkt der Regierungsrat, die ganzjährige öffentliche Provokation durch den Grundeigentümer zu lösen und das kulturelle Erbe zu schützen?

 

Regierungsrat: Der Regierungsrat und der Gemeinderat Glarus Nord rufen zu einer gewissen Gelassenheit auf. Der Grundeigentümer möchte seine Gegenpar-teien provozieren; diese Provokationen sind ein Stück weit auszuhalten. Fest steht, dass der Ablauf der Fahrt nicht gestört werden darf. Kanton und Gemeinde werden auch künftig eine würdige Fahrtsfeier gewährleisten. Allerdings sind beide an das Gesetz gebunden und allfällige weitere Massnahmen haben das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten.


Samstag, 13. März 2021

 

Kirchenaustritte im Kanton Glarus

 

Stellungnahme der Vizepräsidentin des kantonalen katholischen Kirchenrates

 

Heute Samstag haben sich die "Glarner Nachrichten" (Südostschweiz/Glarus) breit ausladend mit dem Thema "Kirchenaustritte im Kanton Glarus" befasst. Sie untersuchen die Situation unserer Landeskirchen. Gleichzeitig sind je ein Expo-nent der evangelisch-reformierten und der römisch-katholischen Landeskirchen zur einer Stellungnahme eingeladen worden: Pfarrer Ulrich Knöpfel, Präsident der ev.-ref. Landeskirche und Daniela Gallati, Vizepräsidentin des kantonalen katholischen Kirchenrates.

Sie ist gleichzeitig seit 1994 Kirchenrätin und ab 2000 Kirchgemeindepräsidentin der Kirchgemeinde Näfels (mit Mollis und Chirezen und Schwändital). Seit 2000 ist sie auch Delegierte des Kirchenrates Näfels und nunmehr Vizepräsidentin im kantonalen katholischen Kirchenrat des Kantons Glarus.

 

Gerne rücke ich ihren Standpunkt als Denkanstoss hier ein: 

                                                      Daniela Gallati-Landolt,

                                             Näfelser  Kirchgemeindepräsidentin

                                  Vizepräsidentin im kantonalen katholischen Kirchenrat

(Archivbild: kath.gl)

 

4 Fragen an ...

 

Daniela Gallati

Vizepräsidentin des kantonalen katholischen Kirchenrates

 

Seit 1970 haben sich die Mitgliederzahlen der katholischen Landeskirche  stark minimiert. Woran liegt das?

 

Ein Teil liegt meiner Meinung nach in der Geschichte. Das Vatikanische Konzil in den 1960er Jahren unter Papst Johannes XXIII. hat den Gläubigen mehr Freiheiten und Perspektiven gegeben. Die 68erBewegung legte ebenfalls ein Freiheitsgefühl an den Tag, welches neu in dieser Zeit war. Die Leute konnten unbeschwerter leben und handeln. Es war eine Zeit des Ausbruchs und des Aufbruchs. Die Generationen danach, ich gehöre auch dazu, sind in dieser Offenheit aufgewachsen und sind sich das gewohnt. Der Wohl-stand ist glücklicherweise für die allermeisten eingekehrt mit all den vielen Angeboten und unbegrenzten Möglichkeiten. Ein Zitat aus einem Vortrag ist mir geblieben: «Die Welt ist zu einem Selbstbedienungsladen geworden – ich nehme, was ich brauche, und es hat ge-nug.» So haben zum Beispiel auch Vereine ähnliche Probleme bei der Suche nach neuen Mitgliedern. Weitere Gründe sind sicher die diversen Skandale, welche die Kirche in Verruf und Misskredit gebracht haben. Aus meiner Sicht ein leidiges Thema. Jeder Missbrauch ist inakzeptabel.

 

Was tut Ihre Kirche, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?

 

Die Kirche ist ein lebendiges Konstrukt, wenn man es so bezeichnen will. Die Kirche lebt mit den Menschen. Sie ist tätig in und für die Gemeinschaft. So macht die Kirche einen ste-ten Wandel durch. Um der Entwicklung entgegenzuwirken, sind mehrere Faktoren zu be-rücksichtigen, um die Leute abzuholen, wo sie sind. Sei es mit karitativen oder sozialen Aufgaben oder Begleitung in schwierigen Situationen. Auch werden Pfarreien und Kirch-gemeinden zusammengeschlossen. Im Kanton Glarus gibt es sechs katholische Kirch-gemeinden und sechs Pfarreien, die regelmässigen Austausch pflegen. Mit dem kantonalen Pfarreiblatt sind die Aktivitäten präsent.

 

Ab welcher Zahl an Mitgliedern müsste man die heutigen Strukturen überdenken?

 

Spontan fällt mir ein Bibelzitat ein: «Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.» Ich denke, es gibt keine Zahl, welche die Strukturen diktiert. Es ist aber essenziell, die Strukturen im Auge zu behalten und gemeinsam aktiv das Beste entstehen zu lassen. Das duale System der katholischen Kirche ist nämlich raffiniert aus-geklügelt. Die Kirchgemeinden und Pfarreien bilden gemeinsam die katholische Kirche. Die staatskirchenrechtliche Seite mit der Kirchgemeindeversammlung als oberstes Organ hat es in der Hand, wie und wofür die Finanzen eingesetzt werden. So ist die Seelsorge ent-lastet von administrativen Dingen und kann sich ihren Aufgaben widmen.

 

Wissen Sie konkret, war Wissen Sie konkret, warum Menschen in die katholische Kirche eintreten oder warum sie austreten?  

 

Einige Kircheneintritte erfolgen, weil der Partner oder die Partnerin der Kirche angehört. Andere treten ein, weil sie einen Halt und eine Gemeinschaft gefunden und Freude haben, das auch zu leben. Kirchenaustretende machen meistens die Bemerkung, dass sie keinen weiteren Kontakt oder kein Gespräch mehr wünschen. Das ist schade, denn bei der Evaluation helfen einem nicht nur die positiven Sachen, etwas zu optimieren, sondern auch die kritischen. Wenn ich aber dennoch einmal jemanden nach dem Grund frage, kommen meistens wirtschaftliche Gründe oder Unwissenheit, was die Kirche alles in der Ge-sellschaft wahrnimmt. Deshalb stimmt der Spruch: «Tue Gutes und sprich darüber.» (leo)

 

Erschienen in: Glarner Nachrichten (Südostschweiz Glarus), Samstag, 13. März 2021, Nr. 60, Seite 2f.

Symbolisches Bild: Kirche im Würgegriff der Zeit.

(Abbruch des Blechembalage-Gebäudes)


Sonntag, 7. März 2021

 

Wagen Sie ein Original zu sein!

oder

Wider die Anpassung an das Gewöhnliche

 

(Dieser Tage haben die "Glarner Nachrichten" eine neue Rubrik geöffnet. Hans (Fridolin) Speck, Netstal hatte die originelle Idee, "Dorforiginale" darzustellen. Damit sind Persönlichkeiten gemeint, die sich von Anderen unterscheiden und durch besonderes Aussehen, Gebaren oder sonstwie wahrnehmbare Eigen-heiten. Dies bewog mich, mich eines Beitrags zu erinnern, den ich in der Kolum-ne "Dies und Das" vor zwanzig Jahren (am 22.02.2001) im "Fridolin" veröffent-licht hatte. (Dieser Text sei hier ausgegraben und präsentiert.)

  

 

Das  Telefon schellt: „Da ist Radio Zürisee! Grüezi...“ Ein sympathische Frauen-stimme: “Wir möchten mit Ihnen eine kurzes Gespräch führen...“ „Soso? Wiir-p-mer ä sii!?“. Man – in solche Fällen heisst es immer „man“! – habe mich empfohlen... „Hoo-soo? – Und um waas gaht’s?“ – Wir machen eine Sendung mit Dorforiginalen. „Wiä händ-Si gsäit?! Doorforiginaal?.“ Ob ich denn ein so schrä-ger Typ sei. Ich könne mir nur schwer vorstellen, was an mir so originell sei, dass es die ganze Region wissen müsse.

 

Im Gespräch schwingt etwas mit, das sie von professionellen Radiomenschen unterscheidet: Die ungekünstelte Ehrlichkeit und das unverbrauchte Vertrauen, „Original“ nicht von einer lächerlichen oder unernst genommenen Seite zu be-trachten, sondern das Interessante, eben das Originelle zu suchen. Die Stimme am Telefon unterscheidet sich von den verrauchten Stimmen oberflächlicher Profis.

 

Ich entscheide mich nach kurzem Zögern mit zwei Absichten: erstens störe ich mich daran, dass „Dorforiginale“ im Volksmund als Leute gelten, die eine „Macke“ haben und meistens aus sozial niedrigen Schichten kommen. Es sind Menschen, die im Allgemeinen nicht ernst genommen und im Speziellen als „Sündenböcke“ oder „Witzfiguren“ verspottet werden. An ihnen kann sich die Dummheit der an-geblich Gescheiten ausleben und die Schadenfreude der Frustrierten ergötzen. Dorforiginale werden als Abweichung von der Norm und mit hintergründiger Anrüchigkeit des Abnormalen behaftet...

 

Zweitens ist in mir ein sozial engagierter Trotz stärker als der Schiss,  mich vor so vielen Ohren zu exponieren. Ich kneife mich ins Hinterteil meines Selbst-bewusstseins und gehe hin. Eigentlich interessiert mich die fertige Sendung weniger, als der Prozess zuvor. (In der Tat habe ich gar keine Zeit, die Aus-strahlung zu hören und kann Ihnen nicht sagen, was die Medienprofis für ein akkustisches Patchwork daraus zusammenschnipseln werden.)

 

Treffpunkt Autobahnraststätte Marché. Von weitem sehe ich den Stationswagen von „Radio Zürisee“ auf dem Parkplatz einbiegen. Eine grossgewachsene, junge Frau mit halblangen, wehenden Haaren entsteigt dem Gefährt, räkelt sich in eine Jacke hinein und hängt sich eine Reportertasche über die hochgezogene Schul-ter. Sie grüsst mit einem sportlichen, aber keineswegs unfraulichen Händedruck und lacht ansteckend, aber von wohltuender Distanz. Bei einem Espresso an der Kaffeebar werden die Details besprochen.

 

Da in der Geräuschkulisse des Autobahnrestaurants gute Aufnahmen unmöglich sind, stellt uns die tüchtige, junge  Managerin M. ihr Büro zur Verfügung. Wir tappen durch die metallene Grossküche und richten uns im Kabäuschen, durch deren Fenster die Spätnachmittagssonne blinzelt, ein. Im Gespräch stellt sich heraus, dass sowohl Frau M. vom Marché als auch die Reporterin Frau B. die Stiftsschule in Einsiedeln besucht hatten, und die erstere meine blitzgescheite, aufgeweckte Schülerin in der Medienkunde gewesen war... so wird man zusam-mengeführt und an eine gemeinsame Vergangenheit erinnert.

 

Das Interview ist so angelegt, dass die Fragende wie eine fleissige Biene soviel Nektar wie möglich sammelt, die Leute im Studio nehmen dann das Geeignete aus dem Körbchen und hängen es als Sendebeitrag wie ein  „Bildchen“ zwischen den Musikteppich. Offensichtlich ist Radio heute eine riesige tagundnachtlange Musiktapete, vor die man News (lies Nachrichten), Servicemeldungen (lies Wet-ter, Strassenbericht, Börsenbericht o.ä) und Porträts hängt, zwischendurch mit Zuhörern talkt und telefoniert. Der Mix von Unterhaltung und Information wird vom Leitbild des Senders geprägt.

 

Nach einer guten halben Stunde ist das Rohmaterial im „Kasten“, der in Wirklichkeit aus einem winzigen Gerätchen und einem  teuren Mikrofon besteht.

 

Ich - ein Original?

Ich weiss beim besten Willen nicht, was Dritte an mir originell finden könnten. Ich glaube nicht, es sei meine Lebensbestimmung, von anderen als originell einge-stuft zu werden. Vielmehr meine ich, das Leben sei voller origineller Möglich-keiten, die man packt oder verpasst. Im Grunde rennen die Leute weiss Gott wohin und merken nicht, dass sie eigentlich nur werden können, was sie schon sind. Man entkommt sich selber nicht. Der tierische Ernst, vor dem keiner gefeit ist, vom Hilfsarbeiter bis zum Konzernmanager, vom Rekruten bis zum Korps-kommandanten, vom Ministranten bis zum Kardinal, vom Totengräber bis zum Chefarzt (oder umgekehrt), ist der Vater der Brutalität und die Mutter zweck-gebundener Fantasielosigkeit.

 

Wer steht heute wirklich noch zu sich selbst? So wie er ist  – mit Talenten und Schwächen? So wie er aussieht – mit Ranzen und Glatze, mit Falten und Dop-pelkinn?  Viele Menschen sind doch reduziert auf den Augenblick wie das flüch-tige Interview, über das die Musikwellen schwappen...dann ist alles vorbei und gewesen. Es ist weiss Gott notwendig, Pflöcke einzuschlagen. Aber es ist weit schwieriger zu sagen,  „Von dort komme ich. Hier stehe ich. Dorthin gehe ich.“, als „Ich bin wichtig. Was bekomme ich? Wie viel habe ich, damit ich „jemand“ bin?“.

 

Schaue ich in den abendlichen Sternenhimmel... wie klein bin ich da! Blicke ich auf „meine“ Menschen, die ich gern haben darf, dir mir anvertraut sind oder mit denen ich zu tun habe... wie schön ist es, leben zu dürfen! Gäbe es dies nicht, wäre die Welt mit ihrem ganzen Getümmel und dem vielen Leid nicht zu ertragen. Ich müsste verzweifeln... könnte ich mich nicht darauf besinnen, was meine Originalität ist, nämlich das, was ich mit Denken erkenne, was ich mit Sehnsucht erträume, mit Freude und Liebe durchwirke und in Freiheit tue. Lasse ich mich aber durch das dauernde „Was säged au d Lüüt!“ einschüchtern, gehöre ich zur Monokultur der Angepassten, die sich gegenseitig in Kleidung, Aussehen, Auto, Ferien, Verhalten kaum mehr unterscheiden. Wenn ich es hingegen ertrage, dass irgend ein Anonymer mich als „Dorforiginal“ „anzeigt“ und auf die Radiorolle schiebt, dann danke ich herzlich dafür. Ich bin zwei liebenswürdigen Menschen begegnet, von deren Tüchtigkeit ich beeindruckt bin.

 

Das Interview hinterlässt weit über die Minuten Sendezeit hinaus die Fragen „Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin gehe ich?“  Es ist gewiss nicht Arroganz, wenn es mir eigentlich egal ist, was aus dieser Sendung geworden ist. Ich lasse es die Sendung derer sein, die sie machen, meine ist es nicht. Möge sie Freude machen! Für mein Leben ist sie unbedeutend. Wichtig ist aber die Nachhaltigkeit des Erlebens und das Bewusstwerden, dass es eine Auszeichnung sein kann, ein Original zu sein und dass die Kopien daneben verblassen.

 

Packen Sie deshalb Ihre Seele am Schlawittchen und leisten Sie es sich, ein Dorforiginal zu sein. Der Eintrittspreis ist viel Mut, Treue zu sich und das Be-wusstsein, dass das Original das Eigentliche ist. Das Klonen an den Toren des dritten Jahrtausends ist nichts anderes als der Versuch zum Original zurück-zukehren! Alle Menschen sind in ihrer Einmaligkeit Originale, hoffentlich haben Sie das nicht vergessen. Viele schämen sich eines zu sein!                                                                                                                                   Bis bald! Ihr Pankraz

 

Und noch ein Zitat:

   

"Unsere ganze Originalität verdanken wir fast ausschliesslich dem Stempel , den die Zeit unseren Empfindungen aufdrückt." Charles Baudelaire in: „Romantische Kunst“.

 

Und auf eigenem Mist gewachsen:

"Jeder/jede möchte für originell gehalten werden, stört sich aber als "Dorforiginal" angesehen zu werden."

 

War "Schtäi-Sepp" (Josef Stein) ein Näfelser Dorforiginal?


Samstag, 13. Februar 2021

 

Patricia und Kurt Hauser-Stiftung "lux aeterna"

 

Rettung nach dem Eklat vor einigen Jahren

 

Die Affäre rund um die Weigerung eines Liegenschaftsbesitzers, die traditionellen Kosten für das Öl des "Ewigen Lichts" in der Pfarrkirche St. Hilarius Näfels zu tragen, ist eigentlich längst Vergangenheit. Dass aber ein grossmütiger Unter-nehmer und seine Frau aus der Not eine Tugend machten, ist weniger bekannt.

Kurt und Patricia Hauser-Hauser mochten die peinlichen Querelen, bei denen die Kirchenbehörden sogar gerichtlich abblitzten, nicht anhören und beschlossen, eine Stiftung zu schaffen, die die seit 1357 bestehende Tradition für die Zukunft sicherte. Die Stiftung wurde am 4. Juni 2013 gegründet.

Hier der Zweckartikel:

 

  1. Zweck (SHAB)

    Die Stiftung hat den Zweck, für das ewige Licht in der Pfarrkirche von Näfels sämtliche Kosten zur Anschaffung des Lichtöls, der Ölkerzen und dergleichen sowie alle Kosten für Reparaturen oder Ersatzanschaffung von Gegenständen, die dem Betrieb des ewigen Lichts dienen, zu übernehmen. Die Stiftung will die seit 1357 bestehende Tradition des ewigen Lichts von Näfels erhalten und weiterführen. Sie kann zudem pro Jahr höchstens einen Anlass mit einem finanziellen Beitrag unterstützen. Ein solcher Anlass muss vom Kirchenrat Näfels bewilligt worden sein und in der Pfarrkirche Näfels stattfinden. Die Stiftung ist gemeinnützig, sie verfolgt keine kommerziellen Zwecke und erstrebt keinen Gewinn.

 

Mit dieser Stiftung setzte das wohltätige Ehepaar nicht nur ein Ende der sonderbaren Debatte, sondern leistete einen beispielhaften Beitrag zur Erhaltung und Fortführung eines traditionellen Brauches. Angeblich geht dieser auf einen Mord oder Totschlag zurück und war ein Servitut auf der Liegenschaft "Bürstenhölzli", das aber offenbar gerichtlich nicht be-wiesen werden konnte.

Kurt Hauser ist Inhaber der renommierten Firma "Hauser Maler Näfels" und war bereits 1988 ein grossmütiger Sponsor, der die Fassade, Fenster und Fensterläden des Tolderhau-ses in der Dorfmitte im Hinblick auf das Jubiläum "600 Jahre seit der Schlacht bei Näfels" (1388-1988) gratis und franko mustergültig renovierte.

 

Das Unternehmen unter Leitung von Sohn Thomas Hauser, Verwaltungsratspräsident, kann in diesem Jahr das 80-jährige Bestehen feiern (1941-2021).


Montag, 1. Februar 2021

 

Trouvaille

Unser Lehrer Arnold Krieg* schreibt

in der "Schweizer Schule"

 

 

 GLARNER SCHABZIGER

von Arnold Krieg, Näfels

 

Es mag wohl zur Ausnahme gehören, daß ein typisches Produkt kulinarischer Observanz in einer Erzieherzeitschrift zu Worte kommen darf. Der Glarner Schabzieger darf sich diesen kleinen Seitenhupf im Trubel der Zentenariumsfeierlichkeiten schon erlauben, denn wenn er sein Jubiläum ankündigen könnte, dann schriebe er es sicher mit einer Zahl, die um 1000 Jahre herumginge.

 

Der Glarner Ziger ist denn so mit dem Lande Fridolins verwachsen, daß er bei Behandlung dieser Talschaft auch in der wirtschaftlichen Erörterung immer zum Worte kommen muß.

 

Die Geschichte des Produktes läßt sich in seinem Ursprung wohl in folgender Version am besten erklären:

 

St. Fridolin, der heilige Glaubensbote, hatte am Rhein drunten das Stift Säck-ingen gegründet. Um die Zeit der ersten deutschen Kaiser kam die Talschaft des obern Linthlaufes an dieses Nonnenstift, und die Bergler mußten ihre Alp-produkte jeweilen im Herbst dahin abliefern. Darunter war auch der weiße Ziger als Abgabe enthalten. Wahrscheinlich wird es da einer Klosterfrau ein-gefallen sein, die weiße Zigermasse mit dem »Stundenkraut« zu vermengen, und der Glarner Schabzieger war erfunden. Das Rezept wanderte als gei-stiges Eigentum mit den Zins- und Lehensträgern in die Talschaft der Linth, und diese blieb bis dahin das einzige Produktionszentrum.

 

Daß gerade nur im Glarnerlande in der Weise der weiße Ziger verarbeitet wu-rde, läßt der obigen Geschichtsversion umso mehr Gewicht zukommen. Kaum hatten die Glarner die Freiheit erfochten, so öffneten sich ihnen die Tore der Handelswelt. Die wichtige Handelsroute über die Bündnerpässe von Süd-deutschland her tangierte die Gemarchungen des Gebirgslandes beim Walen-see. Mit dem »gustigen Kräuterkäse« zogen die Sennen auf die nahen Märkte von Lachen, Weesen, Uznach und Zürich und fanden dabei guten Absatz.

 

Schon im Jahre 1463 erließ der Rat zu Glaris folgende Verordnung an die Bauern und Sennen, die Zieger fabrizierten:

 

Es soll jedermann sin Ziger, die er will verkofen, suuber und guet machen, wohl stampfen und salzen und wohl inschlahn, und wer das nüt endätti, den soll manstraffen. Und sol auch jecklicher sin gewondtlich Zeichen druf than, eh er sin Ziger von handen geb, umb das, wann Jemen nüd guet Ding machte, das man es muge innen werden, wer das gethan hab. Und wer sin Ziger unge-zeichnet von Handen geb, der ist um jecklichen Ziger den Landlütten ein Pfund in Bueß verfallen.

 

Mit dem Fortschritt der Technik trat dann im 17. und 18. Jahrhundert eine Tei-lung der Fabrikation ein. Der Bauer wurde zum Rohzigerlieferanten, während an die zahlreichen Wasserläufe die bekannten Zigerribenen gestellt wurden. Die Zigermanndli, wie sie vor Jahrzehnten noch durch unsere schweizerischen Gauen zogen und mit träfen und humorgeladenen Sprüchen ihre Ware an den Mann brachten, zogen damals schon mit der Meiße (Tragräf) talauswärts. Auf dem Rücken des Linthlaufes trug das Schiff die Talprodukte bis hinunter nach Holland und Belgien und hinüber nach England und der Nordsee- und Ostsee-küste hin, und heute noch findet man just in diesen Gebieten die besten Ab-satzzentren. Jahrhundertealte Käufertradition ist erhalten geblieben.

 

Wie  das Produkt verarbeitet wird

Mit dem Alpaufzug beginnt die Arbeit des Zigerns. Der Senn rahmt die Milch ab und stellt die herrliche Alpbutter her. Aus der »blaben Milch« scheidet er die Eiweißsubstanz durch eine Gärung aus. Der weiße Ziger wird in Fässer ge-bracht und macht einen ersten Reifegang durch, der zirka vier bis sechs Wo-chen dauert. Der Senn verpackt diesen Rohzieger in starke Säcke und schlit-telt ihn in die Zigerribi ein. Da wird der Rohziger durch die Zugabe von Salz einem zweiten Gärungsprozeß unterzogen. Ist der Ziger im Silo reif geworden, so wandert er in den sogenannten Kollergang, in ein mächtiges Steinbecken, worin ein großer Mahlstein die Runden dreht. Das aromatische Zigerkraut, das in der March (Kt.Schwvz) hauptsächlich gepflanzt wird, vor dem Blühen geschnitten und im Schatten getrocknet wird, vermengt sich mit dem Zigerteig. Ist das Kleekraut mit der Rohzigermasse genügend vermischt, dann wandert der Teig in die Stöcklimaschine oder die Stöcklistände. Maschinell und auto-matisch füllen sich die Gußformen, und der »Stöcklibueb« stellt die grünlichen Zigergüpfli in Reih und Glied auf wie Soldaten auf dem Exerzierfelde. Mit dem Fabrikationsstempel versehen, in Papier gewickelt wandert das Produkt hin-aus in die Welt und berichtet von der Gewerbetüchtigkeit eines Bergvölkleins, von dem Fleiße, aber auch von der Initiative seiner Arbeitgeber und Arbeit-nehmer, Ziger-Reiber (Buchdruckerei Tschudi, Glarus) denn heute kann das Produkt in verschiedenen Formen gekauft werden. Ja, die fertige »Lussalbe«, Anken und Ziger vermischt, ist die neueste Errungenschaft auf diesem Ge-biete, und wenn die ersten neuen Kartoffeln auf dem Tische dampfen, dann schmecken sie nochmals so gut, wenn die Glarner Essenz dazu kommt.

 

Zwingli und Gilg Tschudy schenkten ihren Freundeskreisen diesen speziellen Alpkäse, und die Beschenkten dankten in Briefen für diese Aufmerksamkeit. Heute aber ist der Ziger wohl meistenorts heimatberechtigt geworden und ge-rade deshalb auch geblieben, weil er als Hausheilmittel eine gute Referenz besitzt.

Möge es immer so bleiben, denn die Güte des Produktes baut auf jahrhun-dertealter Tradition auf und hat mit den hygienischen Forderungen der Gegen-wart Schritt gehalten.  A. K.     

 

Quelle:

Krieg Arnold, Der Schabziger, Schweizer Schule, 39 (1952), Heft Land und Volk von Glarus / Ziel und Taten des KLVS                                                                   

 * Arnold Krieg war viele Jahre Lehrer an den Dorfschulen in Näfels. Ich selber habe bei ihm die 1. und 2. Primarklasse anno 1946/47 besucht.

 

(Ich habe im Text den mit ie geschriebenen Zieger als "Ziger" aufgeführt. Ausnahme Bildlegende obiges Bild.