Landammann und Gemeindepräsident
Josef Müller-Landolt
Kurzporträt
von Veronika Feller-Vest
Historisches Lexikon der Schweiz
Näfels, katholisch, von Näfels. Sohn des Franz Josef, Druckermeisters, und der Regina geborene Landolt.
Heirat 1898 Anna Louise Landolt, Tochter des Anton, Gemeindeverwalters. Lehrerseminar Schwyz.
Studium in Genf und Zürich.
Sekundarlehrer und Kaufmann (Eisenhandel).
1907-1942 Gemeinderat von Näfels, ab 1910 Präsident.
1918-1923 Glarner Landrat als Vertreter der Katholischen Volkspartei.
1920-1923 Oberrichter.
1923-1945 Regierungsrat (Erziehungsdirektion).
1938 Landesstatthalter.
1942-1945 Landammann.
Josef Alois Müller förderte das Schulwesen, unter anderem die Kantonsschule in Glarus.
Als Gemeindepräsident initiierte er Gewässerkorrekturen, Elektrizitätswerksan-bauten und ein Altersheim.
Gründerpräsident des Stiftungsrats für den Freulerpalast.
Präsident der Archiv- und Bibliothekskommission.
Er verfasste historische Schriften und Erzählungen.
Freitag, 30. Juni 2023
Trouvaillen
Zwei Geschichten
von
Landammann und Gemeindepräsident
Josef Landolt-Müller
*26. April 1871 +12. Dezember 1967
Landammann und Gemeindepräsident
Josef Müller-Landolt
Fritz Widerborst
Eine Charakterskizze von J. Müller-Landolt
Fritz Widerborst war soeben aus dem Geschäfte, einer grossen mechanischen Werkstätte heimgekommen. Krachend war die Türe zugeflogen. Er ging rasch zum Tische und schenkte sich eine Tasse Milchkaffeebrühe aus der weissble-chernen Kanne, die auf der rissigen Schieferplatte stand und trank in hastigen Zügen. Dann stellte er die fast leere geblümte Tasse in eine Ecke des Fenster-gesimses, wobei ein paar Tropfen auf das schmale Fensterbrett fielen. Sofort sammelte sich ein Schwarm von Fliegen um die labende Lösung. Fritz kreuzte die starken, gebräunten Arme und starrte brütend auf die hohe gegenüberliegen-de Gartenmauer, die von zwei Strassenglühlampen, eine an der oberen Weg-kreuzung der Hintergasse, wo das Haus stand, die andere unten , bei der Kirche, flackernd beschienen wurde.
Er setzte sich auf einen wackeligen Stuhl, der unter der Last des starken Mannes ächzte. Etwas Unheimliches lag in seiner Haltung. Die Augen quollen ihm aus dem borstigen, rotgeschwollenen Kopf. «Herrgott, was jetzt?» sprach er laut zu sich «Was jetzt?» Die Faust sauste krachend auf das Fensterbrett, sodass der Fliegenschwarm um die Tasse und den braunen Kaffeetropfen summend gegen die Fensterscheiben auseinanderstob. «Was nun», noch einmal: «Was nun?» Die kleine Elsa am Tisch hörte auf, mit dem verschütteten Kaffee aus ihrer Tasse Flüsse zu ziehen und Seen zu bilden. Sie schaute verwundert und verschreckt auf den Vater. Der betrachtete sie nicht und starrte unverwandt aus dem Fenster hinaus, das rote Gesicht an die Fensterscheibe gedrückt, hinaus in die Regen-finsternis, gegen die, die zwei Glühlampen vergeblich ankämpften.
Hinter ihm beleuchtete eine matte Petroleumlampe eine fürchterliche Unordnung. Auf dem Tische eine russige Pfanne mit einem Rest Maisbrei. Rund herum stan-den einige zerbrochene oder beschädigte Kaffeetassen, teils ohne Henkel, teils mit Ausbrüchen am oberen Rand. Auf dem Boden lag zerstreut armseliges Kin-derspielzeug, eine Lumpenpuppe ohne Kopf, ein paar Holztötzchen, Brotreste und --- ein unnennbares Geschirr. «Ja, was jetzt?» Er hatte die Entlassung be-kommen. Der Direktor in der mechanischen Werkstätte war heute auf ihn zuge-kommen, wie er nach einem Risse auf blauem Papier gerade eine Eisenplatte fräste und stanzte. Und nun war die Arbeit missraten. Der Direktor hatte nur die Durchmesser und die Entfernung der Löcher abgemessen. «Alles verteufelt,» hatte er zu ihm gesagt, zu ihm, der diese Arbeit schon hundert und mehr mal gemacht hatte. «Widerborst, ihr seid ein verdammter Schafskopf!» Wie war ihm da das Blut zum Kopf gestiegen, siedend, siedend! Nicht einmal die Zeichnung war ihm mehr in den Sinn gekommen. Sie wäre ja der Beweis gewesen, dass er richtig gearbeitet. Seiner nicht mächtig, voll Ingrimm über den Schimpf, hatte er den schweren Hammer vom Boden gehoben und bei einem Haar wär’s aus ge-wesen mit dem Direktor. Um Haaresbreite war der Eisenschlegel bei dessen Schläfe vorbeigeflogen. Ganz bleich war der Direktor geworden und dann hatte er zu ihm gesagt: «Widerborst, ihr geht sofort aus der Bude! Ihr seid entlassen». Da hatte er seine Sachen zusammengepackt -- es war ohnehin schon bald Feierabend – und war gegangen.
Jetzt stand er wieder auf und ging im Zimmer auf und ab. Aus der Nebenkammer kam hie und da ein leiser, klagender Laut. Aber er hörte es nicht und setzte sich wieder ans Fenster, presste die Fäuste an seine Schläfen und hockte im Fen-sterwinkel wie ein angeschossenes Wild. «Was jetzt?», so fragte er sich in einem fort.
Das Kind war auf den Tisch gestiegen und hatte versucht, sich aus der Kanne Kaffee in seine Tasse einzuschenken. Aber sie entglitt seinen Händchen, stürzte um und ein brauner Strom ergoss sich plätschernd auf den Boden und rann in die Spalten der tannenen Bretter. Das Kind schrie auf. Da kehrte er sich um und jetzt stand auf einmal das ganze Elend vor ihm: die entsetzliche Unordnung, das schluchzende Kind, die Kaffeelache vor dem Tisch, alles würgte ihn und fasste ihn wie ein hartgriffiger Greuel.
Jetzt ertönte noch dazu ein trockenes Husten aus der Kammer und eine kranke Stimme rief: «Um Gotteswillen, Fritz, bring’s Kind zu Bett.» Es war die arme Frau, die fiebernd und abgezehrt im Bette lag, unfähig sich zu erheben, da sie eben ein furchtbarer Hustenanfall aufs Krankenlager geworfen hatte.
Fritz öffnete mit dem Schuh die halboffene Tür ganz. Ein harter Lichtstrom ergoss sich in die Kammer, in der linker Hand neben dem Bett der Kranken noch zwei Kinder, die in einem gemeinsamem Bettchen. schliefen Das Licht fiel voll auf die abzehrte Frau, deren hohle Wangen fiebrige Rosen verdächtig glühten.
Der Mann packte das Kind und brachte es zu Bette, reichte ihm den Nuggel, der irgendwo am Boden in einem Kaffeebächlein gelegen hatte. Die Kleine war bald dem Elend entrückt, das sie glücklicherweise überhaupt noch nicht spürte.
Da ging die Türe zur Stube auf und auf der Schwelle erschien die alte, aber robu-ste, rundliche Frau Widerborst. Ihr breites, fades Gesicht glänzte und die Äuglein schweiften forschend umher. Sie war in Begleitung eines Mannes dessen Miene unerbittliche Strenge ausdrückte. Graumeliertes, borstiges Haar, faltiges, langes Gesicht, der schwarze Schnurrbart, scharfe, eckige Bewegungen, der stechende Blick, all das vereinigte sich zu einer Erscheinung, die nichts Gutes versprach.
«Herr Jesses, Herr Jesses!» rief die Frau, als sie über die Schwelle trat, «ist das eine Ordnung! Herr Gemeinderat!» wandte sie sich an ihren Begleiter, «stehet da nicht in den Kaffeesee! Ich habs ja immer gesagt» fuhr sie fort und warf dabei ihrem Sohn einen giftigen Blick zu, «heirate nicht so ein auszehrendes Ding! Jetzt hat er den Dr ... S’Hinter voller Schulden» -- da setzt Euch Herr Gemeinderat», sagte sie, indem sie mit dem Ärmel über den staubigen Stuhl fuhr, «und die Stube voller Gofen»!
Wieder kam ein trockener Husten und ein Stöhnen aus der Stubenkammer. «Muss doch einmal nachschauen, was die Zarte da drin macht», fuhr sie auf, schenkte einen kleinen Rest Kaffee, der noch in der umgestürzten Kanne geblie-ben war, in eine Tasse und ging in die Kammer. «Da, nimm» hörte man ihre grelle Stimme, die wie eine zerbrochene Schelle klang, «S’wird dir gut tun. Man muss jetzt doch Erbarmen haben, wenn du ihm schon so nachgelaufen bist». «Will nichts von Euch» schrie die Kranke auf «und nachgelaufen bin ich eurem Fritz nicht. Nehmt die Tasse wieder fort. Nichts, gar nichts will ich von Euch!» «He noch stolz, da werde ich wohl meinen Hauszins glatt erhalten», kläffte die Alte weiter. «Je nun, so trage ich die Tasse wieder hinaus.»
Inzwischen hatte der Gemeinderat am Tisch Platz genommen und sich an Wider-borst gewendet, der mit steigendem Ingrimm die Worte seiner Mutter gehört. Aus seinen Augen glühte ein unheimliches Feuer. Er knirschte mit den Zähnen, nahm dann aber wortlos seinen Platz am Fenster, gegen das der schwere Regen klat--schend prasselte, wieder ein «Ich habe wirklich nichts Gutes für euch, Wider-borst.» fing der Gemeinderat an. «Nichts Gutes.» Er hatte die Gewohnheit, das letzte Wort immer zu wiederholen. «Nichts Gutes» kam es hüstelnd aus den schmalen, zusammengekniffenen Lippen aus denen zwei gelbe Zähne wider-wärtig hervortauchten. «Ihr seid betrieben, Widerborst. Und mit der Mutter da seid ihr ständig im Streit, im Streit:»
«Ja,» fuhr diese wie eine Furie los, «Das ganze Jahr kein gutes Wort und den Hauszins für ein halbes Jahr ist er mir auch noch schuldig. Wovon soll denn un-sereines leben? Und diese Ordnung, Herr Jesses, Herr Jesses, die ganze Woh-nung geht mir zu Grunde. Da läuft ja der Kaffee in die Decke meiner Stube. Ich muss einen Lumpen haben, um wenigstens diese Pfützen aufzutrocknen!
Sie surrte in die Küche, kam wieder mit einem Fetzen und tunkte den Kaffeesee auf. «Das kommt davon, wenn man so einem schönen Lärvchen nachrennt». Der Gemeinderat hüstelte und sagte dann: «Eure Mutter hat mich beauftragt, euch die Wohnung zu künden, zu künden. Heute haben wir den 31.Mai - 31.Mai. Am 30. Juni , 30.Juni, muss die Wohnung geräumt sein, geräumt sein. Habt ihr ver-standen – verstanden?»
Widerborst starrte weiter zum Fenster hinaus, ohne sich umzukehren. Eine un-bändige Wut hatte ihn ergriffen. Er ballte die Faust im Hosensack und sein Mund brachte nur die Worte heraus «So, so» und aus der Kammer kam ein Stöhnen.
Die Mutter, die immer noch auf dem Boden herumhuschelte, Brotreste und Kin-derspielzeuge zusammenlas keifte: «Ja, jetzt, will ich einmal schauen, ob ‘s nicht eine andere Ordnung gibt! Da hat er eine Frau geheiratet, die den ganzen Tag im Bett liegt und alles hocken lässt und faulenzt.»
Da. drang lautes Weinen in die Stube, unterbrochen von erschütterndem Husten. «Jetzt ist es genug!» Widerborst war aufgestanden. Seine Augen, aus denen ein unsäglicher Grimm funkelte, drangen weit aus den Höhlen. Wie ein sprungbe-reites Tier stand er seiner Mutter und dem Gemeinderat gegenüber, packte die Mutter beim Arm und zerrte sie vom Boden auf.
«Halt Widerborst, vergreif dich nicht an der Mutter, denk an das vierte….» «Hin-aus sag ich euch. Hinaus, sonst gibts ein Unglück!» Immer lauter drang das Schluchzen aus der Kammer. «Fritz, ach Gott, ich sterbe.» «Hinaus!» donnerte er und stürzte in die Kammer.
Da auf einmal ertönte durch die Gasse der unheimliche Schall des Feuerhorns. Der Regen rauschte und schlug mit erneuter Wucht an die Scheiben. Draussen war dunkelste Finsternis. Die Strassenlampen waren erloschen, gellende Hilfe-rufe ertönten schaurig durch die Nacht und immer wieder kamen die erschüt-ternden Stösse des Feuerhorns. «Der Bergbach kommt, der Bergbach!
Der Gemeinderat und die Frau Widerborst hatten sich beim ersten Ton des Alarmzeichens davongemacht. Widerborst hatte die Kranke bei einem neuen Hustenanfall unterstützt und ihr Kissen zurechtgelegt. Dann als sie etwas ruhiger geworden war, nahm er die Feuerwehrausrüstung, den Rock, den Helm, der im-mer blitzblank in der Ecke der Nebenkammer hing, vom Hacken, legte die Rüs-tung an und an und stürmte in die Regennacht hinaus. Immer noch heulte das Horn. Wütend trieb der Wind die Nebelschwaden durch die Gasse. Ein schauri-ges Tosen vom nahen Berge erfüllte das Dunkel. Wie er mit andern Feuerwehr-leuten, die überall aus den Häusern kamen, auf dem Sammelplatz beim Schul-haus ankam, wusste er warum man die Feuerwehr aufgeboten hatte. Ein mäch-tiger Strom rauschenden Wassers wälzte sich durch das Dorf. Der Bergbach, der aus einem Seitental herunterbrauste, war über die Ufer getreten und bedrohte, Häuser, Wiesen und Gärten. Im Eilschritt wateten die Feuerwehrleute durch die steigenden Wasser zu den gefährdeten Stellen.
Jetzt standen sie vor der Bresche.
Mit titanischer Wut drängten sich die brüllenden Fluten durch das geborstene Ufer. Die Felsblöcke die der wütende Bach rollte, rieben sich aneinander und ver-ursachten einen Höllenlärm. Es war, wie wenn ein verwunschener Bergriese sich plötzlich seiner Fesseln entledigt hätte und nun rachedürstig und wutschnaubend seine Gegner überfiele.
Dazu rauschte eine unaufhörliche Wasserflut vom wolkenbehangenen Himmel. Woge auf Woge , untermischt mit gröhlendem Geröll wälzte sich über die Wiese gegen das Haus des Bauers Bergmann. Schon umbrandeten die Wellen die Mauern und fluteten durch den Hausflur. Aus dem Fenster kamen markerschüt-ternde Schreie der Frau des Bauern. Sie trug ein kleines Kind im Arm, während sie das grössere an der Hand hielt. Der Bauer war in den Stall geeilt, um das Vieh herauszuführen.
Das sah Widerborst. Ohne sich um die gischtenden Wasser und das Geröll zu kümmern, sprang er in die Flut, bahnte sich einen Weg zum Haus. Er stieg die Treppe hinauf und drang in die Stube. Er fasste die Frau beim Arm. Das grössere Kind nahm er auf seinen Rücken, und so traten sie in das Wasser, das ihnen schon bis über die Knie reichte. Mehrmals strauchelte die Frau mit dem kleinen Kind. Aber Widerborst stützte sie, stemmte sich mit verbissener Wut gegen den Strom und brachte die Frau und die Kinder glücklich in Sicherheit.
Ohne den Dank des Bauern und seiner Frau abzuwarten eilte er wieder zu sei-nen Kameraden, die eben Bäume gefällt hatten, um damit das geborstene Ufer zu stopfen. Allen voran stand Widerborst in den Wellen und schliesslich gelang es, den Bach wieder einigermassen in sein Bett zu zwingen. Der Regen nahm ab. Der fahle Morgen, der langsam heraufstieg, beleuchtete eine trostlose Stein-wüste um das Haus. Aber dem Himmel sei Dank, kein Menschenleben war zu beklagen und auch das Vieh war gerettet worden!
Aber wie sah es aus! Die ganze Liegenschaft war mit Geröll meterhoch über-deckt, teilweise reichte der Schutt bis in die Äste der Bäume. Überall war der Boden von tiefen Gräben durchzogen. Immer noch klatschten bald da, bald dort Wasserwogen über die Ufer und ergossen sich in die Gräben. Die Feuerwehr stand Wache, verbesserte und verstärkte überall das Ufer, wo eine schadhafte Stelle war. Eine Menge Leute kamen, um die Schäden zu besichtigen. Gegen Mittag endlich, als der Regen vollständig aufhörte und sich die Sonne durch die feuchten Wolken zagend hervorwagte, konnte man die Feuerwehrleute entlas-sen.
Sammlung wurde geblasen. Die Mannschaft stellte sich in Reih und Glied. Aber wie sah sie aus. Durchnässt von unten bis oben, mit Schlamm beschmutzte Klei-der, kotig
die Schuhe. Der Kommandant fand Worte der Anerkennung. «Insbe-sondere muss ich» fügte er mit erhöhter Stimme hinzu, «die mutige Tat unseres Kameraden Widerborst hervorheben, der mit eigener
Lebensgefahr Frau und Kinder aus dem bedrohten Haus gerettet hat. Er verdient höchstes Lob. Unser Kamerad lebe hoch!» Alle stimmten freudig ein.
Er aber trat mit finsterer Miene hervor und sagte: «Kommandant, ich brauche das nicht. ich muss heim». Trat aus und kehrte in das Elend seines Hauses zurück.
Am gleichen Abend erhielt er vom Werk ein Schreiben, das seine Entlassung rückgängig machte. Die Kündigung der Wohnung unterblieb.
Eine Spukgeschichte
Die Honoratioren des Dorfes sassen gemütlich beim Abendschoppen in der hei-meligen alten Weinstube zum «Mohrkopf», in der Herr Vater Müller, ein kleiner, rundlicher, aber äussert beweglicher Wirt, und seine freundliche Ehehälfte den Gästen eifrig zu Gebote standen. Der Gemeindeschreiber Hauser strich im philo-sophischer Ruhe über seinen wallenden mit weissen Fäden durchwirkten Bart und hörte lässig auf die Rede des Direktors des Eisenwerkes Schröder, der mit lebhaften Gebärden seiner Umgebung, dem Gemeindepräsidenten Schropp, dem Lehrer Beeler mit den hervorquellenden Augen und einigen Gemeinderäten sein Projekt von einer Drahtseilbahn zur Erschliessung der schönen Alpentäler ob dem Dorfe erklärte und oft mit einigen Strichen auf einer Schiefertafel erläu-terte. Es entstand eine aufgeregte Unterhaltung, ein Für und Wider, dass die Wände dröhnten.
Mitten in dem turbulenten Schwadronieren der Intellektuellen stürzte der ältere der beiden Söhne des Wirtes, ein zwölfjähriger Junge kreidebleich in die Gesell-schaft gelaufen –-- fast verschlug es ihm die Stimme so schnell war er gelaufen – und schrie; als er zu Atem gekommen war: «Er ist wieder gekommen, er kommt jeden Abend.»
«Wer kommt? Wer ist gekommen?» rief es von allen Seiten. «Was ist los, Walter?» fragte unwirsch der Vater. «Du solltest schon lange im Bett sein, es ist ja schon mehr als neun. Wie kommt es denn, dass du bei dem frostigen Herbst-abend noch so spät auf der Gasse bist? Du schlotterst ja?»
Der Junge atmete tief und tat einen unbeholfenen Schritt zu seinem Vater – er hatte vor zwei Jahren einen Unfall erlitten das rechte Bein war etwas verkürzt, sodass er hinkte. «Ich war nicht allein dort oben beim «Kreuz» steht ein Haufen Leute, und es geht ein Gerede und ein Gemurmel und alle starren in den dunklen Hauseingang hinein und hören auf das leiseste Geräusch und warten, ob er kommt.
«Wer soll denn kommen? Rück einmal heraus! Wer?»
«Ach ich darf es fast nicht sagen.» Der Junge zitterte.. «Die sagen, der Gottseibeiuns.»
«Der Gottseibeiuns? Der Teufel? Was soll denn das sein. In unserm frommen Dorfe?» spottete der Gemeindeschreiber.
«Er besuche den alten Kreuzwirt, - so redet man im Haufen… Er sei in der Fremdenlegion gewesen und liege im Sterben und habe Verschiedenes auf dem Gewissen. Ach ich verstehe nicht, was sie alles berichten – Der Unhold begehre seine Seele.»
Die alte Wirtshcaft zum Kreuz war ein grosses braungebranntes, fast schwarzes hochgiebliges Holzhaus. Es war nun in der Tat so, wie der Knabe erzählte, jeden Abend , shcon seit mehreren Tagen sammelten sich Neugierige, und die Menge wuchs mit der schaurigen Nachricht, die über den Leidenden herumgeboten wurde, von einem Kampfe überirdischer Geister.
Es war aber auch wirklich ein seltsamer, durcherregender Vorgang. Jeden Abend zur gleichen Stunde --- es mochte etwa halb zehn sein --- hörte man vom obern Stockwerk, vom Estrich mit schweren, polternden Schritten zum ersten Stock heruntertappen, wo man wusste, dass dort der Kranke lag.
Dann ging die Türe, schlug wieder zu und alles blieb still. Es gab ein oder zwei Beherzte, die beim Kommen des Unbekannten die Treppe hinaufsprangen, aber da war niemand zu sehen, noch zu hören. Es war umso rätselhafter, als sich das nun seit mehr als einer Woche zur selben Zeit wiederholte, und so hatte sich in Verbindung mit dem nicht ganz einwandfreien Vorleben des dem Tode Nahen das Gerücht vom Besuche des Mephistoles gebildet, das sich immer mehr in die abergläubigen Seelen eingefressen und zum Volksauflauf geführt hatte.
«Und solche Geschichten,» rief entrüstet der Gemeindeschreiber, der im Rufe eines aufgeklärten Mannes stand. «so was glaubt man noch bei uns, glaubt man noch bei uns!»
Es ist eine Schande, den armen kranken Kreuzwirt derart ins Gerede zu brin-gen,» sagte der Lehrer.
Und der Wirt. «Dem Unfug muss man sofort auf die Spur gehen.» Von allen Seiten pflichtete man ihm bei! Schröder macht den Vorschlag, Abend eine ge-naue Untersuchung der rätselhaften Vorgänge zu veranstalten. Hauser, ein eif-riger Jünger Nimrods*, erbot sich mit seinem Gewehr bewaffnet, in den Estrich zu steigen, die andern sollten unten bei der Menge warten, und wenn sie dann die Schritte vernähmen, sogleich die die Treppe hinaufzuspringen. So würde man sicher den Übeltäter, nur um einen solchen konnte es sich handeln, fassen und ihm den Schabernack gehörig austreiben zu können. Allen wurde Stillschweigen über den Plan auferlegt.
Am nächsten Tag war ein trüber, nebliger Herbstabend, begaben sich dich die Aufklärer rechtzeitig zum «Kreuz». Schon hatte sich wie an den vorhergehenden Abenden eine grosse Schar Neugieriger vor der Haustüre angesammelt, alle, von leisem Schauder erfüllt, erwarteten sie etwas Unerhörtes.
Schon hatte sich der unerschrockene Gemeindeschreiber mit seiner Waffe heim-lich an seinen Posten auf dem Estrich begeben. Voll Spannung lauschten unten im dunklen Hausgang die Verschwörer, die dem vermeintlichen Fürsten der Un-terwelt zu Leibe gehen wollten, in der Finsternis. Und da kam es, schwere Schrit-te ertönten, eine Türe ging klappernd auf und zu.
Jetzt musste man den frechen Kerl fassen, der die ganze Gemeinde in Angst ver-setzte. Von oben kam Hauser mit seiner Waffe. Nichts hatte er beobachtet, kein Mensch, kein Wesen, kein verrückter Übeltäter war greifbar. Unverrichteter Dinge kehrten die Herren in den «Mohrkopf» zurück und zerbrachen sich den Kopf, um die Sache zu erklären.
Sie gaben sich nicht geschlagen. Noch drei und viermal widerholten sie den Ver-such, das Unerklärliche aufzuklären. Aber immer mit dem gleichen negativen Er-folg. Immer wieder mit dem gleichen negativen Erfolg. Der Auflauf nahm immer groteskere Formen an. Schon gab es solche, die im Kampf der himmlischen Gei-ster mit den unterirdischen um die Seele des Kranken faselten und selbst der aufgeklärte Lehrer Beeler fing an zu philosophieren: «Es gibt viele Dinge zwi-schen Himmel und Erde von denen wir Sterbliche nichts wissen.»
Da brachte ein Zufall die Aufklärung.
Eines Abends, als sich gerade wieder der furchterregende Spuk im Gange war, kam zufälligerweise der behandelnde Arzt und machte einen späten Besuch. Er konnte sich die grosse Anwesenheit von soviel Leuten nicht erklären, zwängte sich durch die Menge und betrat das Krankenzimmer gerade in dem Augenblick, wo die alte Schwester des Leidenden aus dem Kasten in der Nebenstube die Medikamente holte, um dem Kranken den Nachttrank zu bereiten.
Die Greisin hatte schwere Bauerschuhe an ihren Füssen und tappte dumpf um-her. Jeder Schritt der Alten nahm das dunkelgebrannte Gebälk des Holzhauses auf und übertrug es auf die mit ihm verbundene Treppe. Der Arzt forderte die Frau noch mehrfach auf, in die Nebenstube zu gehen und jedesmal kündigten sich ihre schlürfenden Schritte auf der Stiege.
Das Rätsel war gelöst. Der Kreuzwirt starb friedlich, und die himmlischen Geister trugen seine Seele zum Himmel.
J. M.-L.
*Nimrod ist ein altorientalischer, im Tanach, bzw. in der Bibel und im Koran erwähnter Held
und König
Mittwoch, 15. März 2023
Aus dem Nachlass
von
Landammann Josef Alois Müller-Landolt
25. April 1871 bis 12. Dezember 1967
Dieser Tage hat mir Georges Müller aus dem Nachlass seines Grossonkels Land-ammann und Gemeindepräsident Josef A. Müller-Landolt die folgende köstliche Reminiszenz aus dessen Schrifttum zugestellt.
Gerne "verewige" ich diese Geschichte hier, damit sie auch anderen zugänglich wird.
Landammann Josef A. Müller-Landolt
Die Festsuppe
von
Josef Müller-Landolt
Dieses Ereignis hat meine liebe Grossmutter(1) vor beachtlicher Zeit ihrer Tochter, meiner Mutter(2) erzählt.
Nach den Urbanisierungsarbeiten des Gebietes der verlassenen Linth im Schärhaufen und Autschachen wurde dieses Werk mit einem Segensspruch vom damaligen Pfarrer Müller(3) festlich begangen.
Von verschiedener Seite erschienen Delegationen, so von Glarus, Walenstadt, Niederurnen, um der Eröffnung beizuwohnen. Zudem feierte man die wiederholte Bekleidung des berühmten Landammanns Franz Karl Hauser(4) mit der Landammannswürde. Von allen Häusern flatterten Fahnen und die Schüler aus dem zur Schule umgewandelten Freulerpalastes freuten sich des unerwarteten Feiertages.
Im Hause des Landammanns herrschte fieberhaftes Leben. Ein ganzer Stab an hohen Offizieren, geschmückt mit ihren Ordenszeichen mühten sich, die Dame des Hauses zu begrüssen und zum Ereignis zu beglückwünschen. Noch lebhafter ging es in der Küche zu. Wo die dicke energische Magdalena Gallati (5) ihr Amt betrieb und den mithelfenden Mägden Weisung gab, Gemüse und Bestecke schön bereit zu halten.
Und unter dem weiten Kamin brodelte schon auf dem Herd die festliche Suppe.
Und da erhob sich plötzlich ein entsetzlicher Schrei – eine Schlange, eine Schlange!
Vom Rande des Kamins löste sich tatsächlich eine junge pralle Natter, drehte sich und fiel herunter und gerade in die herrliche Suppe.
Da plötzlich ein entsetzlicher Schrei! Wo, was sagst du da? Eine Schlange? Entsetzte sich die Köchin. Mein Gott was soll ich machen? Sie nahm die Kelle und forschte in der dampfenden Brühe und da fand sie wirklich das junge, glatte Tier, nahm es bei der Schwanzspitze, öffnete das Fenster und warf den ungebetenen Gast in die Hofstatt.(6)
Ja warum habt ihr ein Storchennest auf dem Haus? Ein Storch hat das Tier verloren.
Und Magdalena sagte: Jetzt ist alles verloren, alles kaputt: Ein Stück allerbestes Rindfleisch, was soll ich tun? Dann nahm sie einen kleinen Becher, schöpfte und kostete ihr Kunstwerk. Doch, wir tischen alles auf, sie schmeckt gar nicht so schlecht, wie sie befürchtet hatte.
Dann wandte sich die energische Magdalena zu den Mägden und fuchtelte mit ihren bekrallten Händen vor ihren Augen umher. Es wird doch aufgetischt: Das sage ich Euch: Wenn ein Sterbenswörtchen von dem auskommt, was passiert ist, so erwürg’ ich euch! Die Mädchen versprachen Himmel und Hölle ver-schwiegen zu sein. Die Suppe wurde in silbernen Schüsseln serviert und er-fuhr höchstes Lob. Ja, die Hausherrin frug Magdalena; woher hast du denn das Rezept. Du musst es mir geben! Die aber blieb schweigsam über ihre Kochkunst und schmunzelte nur im Geheimen.
Die ganze Bevölkerung hatte die grösste Freude am gelungenen Werk der Linth-Umleitung (7), wodurch viel Land zur Nutzbarmachung gewonnen wurde und die Gesundung der Gegend zur Folge hatte, - ein Segen für unser Dorf und das grosse, früher verseuchte Gebiet.
J. M.-L.
Anmerkungen;
(1) Grossmutter Maria Appollonia Gaudentia Müller-Klein von Weesen,
Hebamme, * 1787 Aug.4. + 1855 Jan.15. (Genealogie Müller Nr. 303)
(2) Mutter Magdalena Elisabeth Müller-Landolt * 1842 März 21. + 1901 Apr.15. Gerbistrasse (Genealogie Müller Nr. 452)
(3) Vermutlich: Pfarrer Franz Anton Müller, von Näfels, Sextarius, *28. September
1774, erwählt 1823, gestorben 22, März 1837; war Kaplan in Uznach 1804-
1809, Pfarrer in Flums 1814-1823, hielt am 13. Februar 1831 bei der Beerdi-
gung von General Niklaus von Bachmann die Grabrede. (Braun Blasius:
Festschrift zum goldenen Priesterjubiläum des HH. Meinrad Schönbächler,
Pfarrer und Domherr Näfels. 29. Juni 1920, Seite 11)
(4) Landamann Franz Karl Hauser: Es dürfte sich um Landammann Fridolin
Josef Johann Nepomuk Aloisius Hauser von Näfels handeln * 9. September
1759, + 15. Dezember 1832 in Näfels, im Dorf an einem Schlag, während er
sein Morgengebet auf den Knieen verrichtete.
Dom. Capitän, Major, Oberst. 1826-1828 und 1831-1833 Landammann.
1814 eidgenössischer Staatsschreiber (erster !). Er figuriert auch als eidgenössischer
Staatsschreiber anno 1814-25 in der Einkaufsurkunde 1821 seines Sohnes Franz Carl
Gustav Joh. Nepomuk von Rheinau. Vide Gesch.des Landes GL II von Jakob Winteler,
fol.411, Bild von F.J.A. Hauser. 1803-1813 war Hauser fürstlicher Adjunkt des eidge-
nössischen Landammanns, vide Dändlikers Schweizer Geschichte Bd.III fol.477. 1
1814 eidg. Oberkommissär in bischöflich baslerischen Landen. Ober=Kommandant
der nach Veltlin, Chiavenna, Bormio beorderten Truppen. 1825 Landesstatthalter,
Chronik Melch. Schuler fol.442; hist.Jb.21 fol.84. Dr. E.Buss Kunst fol.88. Vide auch
G. Heer neuere Glarner Gesch. und Schweizer Gesch. fol.11-55; hist.Jb.6 fol.28; 29
fol.32. (Genealogie Hauser Nr. 124)
(5) Magdalena Gallati: war in der Genalogie nicht auszumachen
(6) Hofstatt: Rothaus, Giessenbrücke. Vermutlich spielte sich die Szene im Landammen-
haus in der Hofstatt ab, erst später hatte er besagte Landammann das Haus im
Dorf bezogen.
(7) Bei der "Linth-Umleitung", die nach Abschluss des Escherkanals von Mollis direkt in
den Walensee (1807-1811) wurde im "Schärhaufen" Neuland gewonnen, das ver-
mutlich viel später neue eingeweiht wurde.
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"Agätäbroot und Füürälihäiss"
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Dunschtig, 7. Novämber 2024
Wer glüggli isch, söll nüd wellä
nuch glügglicher sii.
Novämber oder Winter-Munet
Wänn dä d Novämbertääg da sind, gitt's nuch gag-gäärä schtürmisch Wind.